Issue 
(1971) 13
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der Jäkelschen Einleitung gegebene Erklärung des Unterganges der Kom­mune nicht ganz das Wesentliche. Wie so oft, so ist .auch in diesem Zu­sammenhang auf Karl Marx Schrift:Der Bürgerkrieg in Frankreich* 4 hinzuweisen. Dagegen wird Fontanes Standpunkt als Beobachter des Er­eignisses durchaus richtig definiert als Ausdruck einer rein ästhetisdien Haltung. Bedeutsam ist auch Jäckels Hinweis auf die Stellung Fontanes zum Elsaß-Lothringischen Problem.Die Annexion ... führt zu der Frage nach nationaler Unterdrückung und nationaler Überheblichkeit; sie wird im Laufe der nächsten fünfundzwanzig Jahre zum Hauptthema der Preu­ßen- und Deutschlandkritik Fontanes. Dieser Analyse kann man nur zu­stimmen.

Nun einige Worte zu Fontanes Texten selbst: Wie kann man sie defi­nieren? Sie sind so reichhaltig und vielseitig. Sie enthalten Kriegsberichte und Autobiographisches, mit dramatischer Spannung geschrieben, die den Leser fesselt; ferner sozialpsychologische und politische Analysen, die weit über das hinausgehen, was damals dem deutschen Publikum von zünftigen Historikern und Journalisten geboten wurde, dann Plaudereien, denen derselbe literarische Rang zukommt wie den berühmten Tischgesprächen aus Fontanes Romanwerk; endlich erregende dichterische Stellen von höchstem Rang, wie z. B. der Besuch in der Maison Blanche in Bazeilles bei Metz, in der Fontane mit französischen Kriegswaisen zusammen­trifft, wobei ihmdas Furchtbare des Krieges anschaulich wurde, wie er es selbst sagt. In diesem Kapitel 1 zeigt sich, was nur ein großer Dichter vermag: die tiefste innere Bewegung seines Herzens unmittelbar auf den Leser zu übertragen.

Bei all ihrer Vielseitigkeit besitzen die vorliegenden Texte einen gemein­samen Grundton. Es klingt aus ihnen stets dieses Leitmotiv, das fran­zösische Volk soll ohne Haß und Eifer dargestellt werden, selbst wenn dieses Unterfangen zur Selbstkritik des Autors führt.

Dafür ein Beispiel: Fontane speist im Gasthause des lothringischen Dor­fes Gorze; sein Zwiegespräch mit dem Wirt dient dem Kapitel als wirkungsvoller Abschluß:Eh bien, fuhr ich fort, zugleich das große Laib Brot vom Teller nehmend, dies Brot wird künftig auf deutscher Erde wachsen, und das sagt alles! Aber einem Franzosen ist schwer beizu­kommen. Er nahm den Teller, auf dem das Brot gelegen hatte, drehte ihn zwischen den Fingern und sagte: Deutsche Erde! Sehen Sie hier diesen Sonntagsjäger. Er glaubte einen Fasan getroffen zu haben; aber es war die bunte Mütze seines Nachbars; der Fasan flog davon. 2 In diesem Tone sprach Fontane im Jahre 1871 zum deutschen Bürgertum, das sich noch im vollen Siegesrausch befand. Auch dieser Umstand macht aus der Dar­stellung seines Frankreich-Erlebnisses ein einzigartiges Werk.

Aber damit nicht genug. Es scheint dem Rezensenten zeitgemäß, im Jahre 1971 darauf hinzuweisen, daß die beiden Hauptereignisse des Jahres 1871, die Reichsgründung und die Pariser Kommune, in der offiziellen deutschen Geschichtsschreibung Generationen lang völlig falsch eingeschätzt worden sind. Während die Kommune als blutiger Zwischenfall ohne Nachwirkung und als utopische Fehlkonstruktion beurteilt wurde, so erschien das

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