Heft 
(1971) 13
Seite
368
Einzelbild herunterladen

Editoren haben das Wort

Zur Datierung der beiden an Wilhelm Wolfsohn nach Rußland gerichteten Gedichte Fontanes

Di? falsche zeitliche Einordnung der beiden frühen Gedichte Fontanes an den in Rußland weilenden Freund Wolfsohn in den Sammlungen der Nymphenburger Ausgabe (Bd. XX, München 1962, S. 431 ff, Anm. S. 779), der Hanser-Ausgabe (Abt. Romane, Erzählungen, Gedichte, Bd. 6, Mün­chen 1964, S. 735 f, Anm. S. 1086 und S. 756, Anm. S. 1090) und in H. Richters BuchDer junge Fontane (vgl. weiter oben, S. 363) gibt uns Veranlassung, mit Hilfe von Wolfsohns Lebenslauf die Zusammenhänge, aus denen heraus Fontane diese Gedichte schrieb, zu erläutern, um so der wirklichen Entstehungszeit näherzukommen.

Wolfsohns Aufenthaltsgenehmigung für Leipzig, die nur für die ohnehin überschrittene Zeit seines Universitätsstudiums (Oktober 1837 bis März 1843) Gültigkeit hatte, war nach seiner Promotion am 2. April 1843 abgelaufen. Aus diesem Grund war er, abgesehen von dem Wunsch, nach fast sechs Jahren seine Angehörigen wiederzusehen, genötigt gewesen, zu seinen Eltern nach Odessa zurückzukehren. Wie wenig wohl er sich dort nach seiner Ankunft in der ersten Augusthälfte 1843 unter den Bedingungen der Nikolaitischen Selbstherrschaft fühlte, wie sehr ihn überdies dieSteppenresidenz mit ihrerZungen- und Ideenver­wirrung abstieß, in dernur eine Sprache vernehmlich, nur eine Idee klar ist die des Gewinns und materiellen Genusses (vgl. seine Wid­mung an Sophie von Melgunow in: Wilhelm Wolfsohn, Rußlands Novel­lendichter, 1. Teil, Leipzig 1848, S. 31), und wie heftig ihn Sehnsucht nach denschönren Tagen in Leipzig beherrschte, zeigt sein Gedicht Meinem Theodor vom 28./16. Oktober 1843. Das Original dieses Gedichts befindet sich im Fontane-Archiv Potsdam und wurde im 2. Teil des Bestandsverzeichnisses derLiteratur von und über Fontane (Potsdam 1960, Tafel 4 und 5) reproduziert. Um der Briefzensur nicht auffällig zu werden, sind Wolfsohns Verse in der für die russische Literatur charakteristischenäsopischen, verhüllenden Schreibweise abgefaßt. Un­geachtet des Zwanges zur Verschleierung seiner Gedanken spricht sein Lied, dessen dazugehöriger Brief an Fontane nicht überliefert ist, von derdunklen Haft, aus der sein gebundenes Wort sich ringen muß. Er kannnur durch Zeichen sprechen, dennseinem Schicksal weichen und schweigen muß der Mann. Fontane kannte den Freund und die russischen Verhältnisse gut genug, um zwischen den Zeilen lesen zu können, und antwortete in seinem Brief vom 29. Januar 1844:Ich glaube, Dein Lied verstanden zu haben. Er empfiehlt ihm, nach Deutschland zurückzukehren und verweist als aufdie eigentlichste und jedenfalls verständlichste Antwort auf seine bereits verfaßteversiflzierte Er­widerung, die er allerdings, um Wolfsohn nicht inFatalitäten zu verwickeln, dem Brief nicht beifügte, sonderngleichzeitig an Heinrich