Heft 
(1971) 13
Seite
369
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Laube für den Abdruck in derZeitschrift für die elegante Welt unter dem TitelEinem Freunde abschickte (Wolters, S. 20 f.).

Fontanes GedichtEinem Freunde in Odessa, denn um dieses handelt es sich, kann also nur zwischen dem Empfang von Wolfsohns Versen vom 28.16. Oktober 1843 in der ersten Novemberhälfte 1843 und der Absendung seines Briefes an Wolfsohn am 29. Februar 1844 entstanden sein. Fontane geht in seiner gereimten Antwort ganz auf Wolfsohns Klagen ein, die ihre Ursache in der Erbitterung fanden, daß jede freie Entfaltung der Persönlichkeit unter dem zaristischen Druck unmöglich war. Aber auch der Zwiespalt zwischen Wolfsohns Zugehörigkeitsgefühl zum russischen Mutterland und seiner Liebe zum deutschen geistigen Vaterland trug zu seiner Zerrissenheit bei. Dieser Situation entsprechend antwortete Fontane auf Wolfsohns Verse in seinem GedichtEinem Freunde in Odessa:Nicht um eine Fürstenkrone war ich in das Land geeilt, wo das Volk sich in Spione, Sklaven und Tyrannen teilt, und fordert den Freund auf:Flieh, du bist nicht heimisch dorten, wo Dein Vater Dich gezeugt, heimisch bis Du hier geworden, wo der Geist Dich großgesäugt. Da dieses Gedicht nicht 1844 in LaubesEleganter erschien, vielmehr erst fast ein Jahrhundert später, nämlich 1932, von W. Rost inAllerlei Gereimtes (S. 62 f) veröffentlicht wurde, gab Wolters 1910 in seinem Fontane-Wolfsohn-Briefwechsel in der Anmerkung zum oben erwähnten Brief Fontanes vom 29. II. 1844 an, es handle sich bei dem vom Briefschreiber erwähntenEinem Freunde umRußland (Einem Freunde, als er nach Moskau übersiedeln wollte).Rußland lag nämlich seit 1851 in der ersten Sammlung Fontanescher Gedichte (S. 230 f) gedruckt vor. Wolters hat natürlich die Handschrift vonRuß­land nicht in Händen gehabt; ihre Kenntnis hätte ihn vermutlich durch das dortige Fehlen des UntertitelsEinem Freunde, als er nach Moskau übersiedeln wollte, vor dem Irrtum bewahrt, der nun jahrzehntelang weitergetragen wurde.

Fontanes zweites Gedicht an Wolfsohn weist durch diesen 1851 hinzu­gefügten Untertitel auf andere Zusammenhänge hin als jene, auf die lnEinem Freunde in Odessa angespielt wird. Im April 1844 verließ Wolfsohn seine Heimatstadt, die sich für seine Absichten, nämlich Bekanntschaft mit zeitgenössischen Schriftstellern und Sammlung der neuesten russischen Literatur, als unergiebig erwies, und reiste mit Aufenthalten in Krementschug und Charkow nach Moskau. Hier traf er Ende Mai 1844 ein und lebte unter äußerst bedrängten finanziellen Verhältnissen bis Anfang November 1845 in regem Verkehr mit der in Slawophile und Westler geteilten russischen Schriftstellerwelt in der Metropole. Nach einem anschließenden drei- bis vierwöchigen Aufenthalt ln Petersburg im November/Dezember 1845, der ihn mit Belinskij und dem von diesem geprägten Kreis um die ZeitschriftDer Zeitgenosse zusammenbrachte, kehrte er nach Dresden (polizeiliche Anmeldung vom 28. Dezember 1845) und dann nach Leipzig zurück, wo ihn seine Braut aus Studententagen Emilie Gey erwartete. Vor August 1844 gibt es keinen Beleg dafür, daß Wolfsohn vorübergehend die Absicht hatte, sich für immer in Moskau niederzulassen. Auf diesen Umstand aber