Fiktion, es ist Wahrheit und Wirklichkeit. Und es ist auch wahr und wirklich. Aber, aber. Nun der Revers. Ich will nicht die Zahllosen auf- zählen, die verhungerten oder die dem Hungertode zuvorkamen: Chatter- ton 23 , Otway 20 , die Karschin 27 , Bürger 2 «, dem die Göttinger Damen Suppen ins Haus schickten, weil er sonst nichts gehabt hätte, diese sind alle ganz speziell 288 in ihrem Hungert um gefeiert und [da] durch 28 1> m it einer Art Doppelglorie ausgestattet worden; verhungern ,wenn man will, ist selber wieder poetisch — jedenfalls poetischer wie bei Muttern sterben — und reizt mehr zur Dichter-Heeresfolge 280 , als es davon abschreckt.
Nein, nein, Hungern ist nicht der Revers. Der Revers ist 28 ' 1 das Achzel- zucken, das superiore ^ Lächeln, die Verachtung. Es kommt vor, daß „der Dichter mit dem König geht“. Du lieber Gott, was kommt nicht alles vor. Aber die Regel ist, daß er nicht mit dem König, sondern mit dem Exekutor geht. Nicht mit dem grausig poetischen, der zur Exekution schreitet, der ein Richtschwert 281 in der Hand trägt — so unangenehm das alles ist, so hat es doch Romantik — nein, der Trivial-Exekutor, der nicht 28 ^ auf einem volksumstandenen Schafott, sondern in Plötzensee 29 oder am Alexanderplatz 10 mündet 308 . Der Revers heißt: unbezahlte Miete 31 , überhaupt allgemeine große Nicht-Zahlung; der Revers heißt, daß in jedem Bäcker- und nun gar erst in jedem Fleischerladen der Kredit verweigert wird mit dem Hinzufügen: „ja, bezahlen Sie erst“, und der Revers heißt vor allem, daß die, die sich ehrlich und bürgerlich respektabel so durchwinden, doch als „suspekt“ 32 , als unsichere Kantonisten angesehen und als verächtlich oder als lächerlich angesehen werden. Es gibt kein weniger geachtetes Metier. Der Schauspieler vergangener Tage, „Komödiant“ 33 des vorigen Jahrhunderts, ist durch den Schriftsteller (oder gar Lyriker) dieses Jahrhunderts weit überholt, und wenn er eintritt, ist es wie das Erscheinen der „Löffelgarde“. Seht euch vor, schließt alles zu. Der letzte linke Flügel, der an den Fechtbruder oder an noch Schlimmeren grenzt, empfindet davon am wenigsten; er lacht, er ist eingerichtet auf den Kampf mit den Ordnungsmächten, aber der brave, fleißige, selber 338 nach Ordnung dürstende Mensch, der in seiner Jugend nur die Sehnsucht 330 hatte, ä tout prix Dichter werden zu wollen, der muß die Zeche bezahlen. Er hatte von Lorbeer geträumt, von einem Standbild auf dem Marktplatz von Treuenbrietzen, und jeder kleine Spießbürger, der ein Ladengeschäft hat, drückt sich an ihm vorbei, weil er weiß, „er hat nichts“ und ist dem und dem verschuldet. Von all seiner Sehnsucht hat er nichts als die Aufnahme in Kürschners Schriftstellerlexikon y '. Unglückseliger! Ich selber bin „einer“ und hab es immer gesegnet, daß meine Kinder, trotz gelegentlicher Anwandlungen 3 ' 1 , keine geworden sind.
Ich schreibe dies, weil es mich verdrießt und peinigt, bei jedem flüchtigen Blick in ein 3 -" 18 Journal, eine Zeitung, eine Revue immer wieder Aufsätzen zu begegnen, die der alten verderbenschaffenden Anschauung neue Vahrung zuführen, „ein Dichter, ja, das sei was Großes“. Es ist eine schändliche Lügerei, ja, was noch schlimmer ist, eine dumme Angewohnheit. Der Stein rollte mal vor 100 oder 200 Jahren in dieser Richtung, und nun rollt er gemütlich immer weiter. Der Unsinn von einer
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