Heft 
(1972) 14
Seite
387
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jedoch vor 1870 niedergeschrieben sein können. Das bleibt indes nur eine Ver­mutung.

Etwas mehr Sicherheit vermittelt der Inhalt. Zwar bietet er für die Datierung keine konkreten, greifbaren Fakten oder gar Daten. Doch die beschauliche, geruh­same Einstellung, der es nur um die sich selbst genügende Schilderung geht und die das Gegengewicht der Kritik noch fast gänzlich vermissen läßt, deutet darauf hin, daß diese Sätze nicht der späte Fontane geschrieben haben kann. Es ist eher der Verfasser des RomansVor dem Sturm, der sich hier als Theoretiker über sich selbst klar zu werden versucht, als der Autor z. B. derEffi Briest.

Der dritte Entwurf, der in einem Umschlag im Folioformat mit der Aufschrift Dichter-aspirationen liegt, umfaßt neun einseitig beschriebene Foliobogen. (Auf den zehnten Bogen, der nicht beschrieben ist, ist ein Zettel mit einem kurzen Vorentwurf unter dem vorläufigen TitelDichter aufgeklebt; wir lassen den Vorentwurf seiner inhaltlichen Unerheblichkeit wegen hier beiseite.)

Der Text des dritten Entwurfes ist sehr flüchtig hingeworfen, obgleich mit Tinte geschrieben. Viele Wörter werden nur aus dem Zusammenhang heraus lesbar. Manche Buchstaben sind nur angedeutet, nicht ausgeführt, oder sie werden durch langgezogene Striche ersetzt. In einigen Fällen bleibt die Lesung unsicher.

Seinem gedanklichen Aufbau nach erweckt der dritte Entwurf den Eindruck eines ln sich geschlossenen Ganzen. Fontane trägt darin verschiedene Thesen vor, belegt sie anhand von Beispielen, um am Ende Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Daß es sich trotzdem nur um einen Entwurf handelt, geht aus den stilisti­schen Unebenheiten, zwei versehentlichen, nicht getilgten Wiederholungen und einer wohl bewußt noch offen gelassenen Lücke hervor. Eine abschließende Über­arbeitung hat Fontane also nicht vorgenommen.

Die Schrift läßt kaum einen Zweifel darüber, daß das Manuskript von der Hand des alten Fontane herrührt. Sie zeigt auffällige Übereinstimmung mit den Schrift- zügen des Dichters etwa in der Effi-Briest-Handschrift, die 1891 bis 1894 entstanden ist (vgl. das Faksimile bei Fritz Behrend: Aus Theodor Fontanes Werkstatt. Mit einer Handschriftennachbildung im Lichtdruck. Berlin 1924 = Bertholddruck. 4.). Wir sind jedoch bei den ..Dichteraspirationen nicht auf Vermutungen über die F.ntstehungszeit angewiesen. Verschiedene im Text angeführte Namen bzw. Fakten erlauben eine ziemlich genaue Datierung.

Am wichtigsten ist in dieser Beziehung die Erwähnung der Tatsache, daß Hugo Lubliner in die königliche Loge befohlen wurde. Da das am 16. 11. 1891 geschah, so ist damit der terminus post quem für die Entstehung derDichteraspirationen gegeben.

Diese Datierung wird unterstützt durch eine andere Ausgabe Fontanes. Er läßt nämlich denTrivial-Exekutor seinen Weg zumAlexanderplatz nehmen. Wenn, wie wohl zu vermuten, damit das Polizeigefängnis gemeint ist, so hätte Fontane, sofern er den Entwurf schon 1889 oder früher zu Papier gebracht hätte, statt Alexanderplatz schreiben müssen:Molkenmarkt". Denn dort befand sich seit Jahrzehnten das Berliner Polizeigefängnis, die sogenannte Stadtvogtei. Erst 1890 wurde der Neubau am Alexanderplatz vollendet. Aus den achtziger Jahren oder gar einer früheren Zeit können dieDichteraspirationen folglich nicht stammen. Angesichts der Anhaltspunkte, die wir damit für die Datierung gewonnen haben, verliert die von Fontane erwähnte Ernennung Julius Wolffs zum Ehrenbürger von Hameln, die am 28. 6. 1884 stattfand, für Datierungszwecke an Gewicht. Indessen deutet die Art. wie Fontane KürschnetsDeutschen Literatur-Kalender (er spricht vonKürschners Schriftsteller-Lexikon) als etwas Bekanntes anführt, darauf hin, daß der Titel dieses Werkes bereits zu einem - jedenfalls in der literarischen Welt - geläufigen Begriff geworden war. Das heißt aber, es mußten, seitdem der Literatur-Kalender zuerst unter Kürsdiners Redaktion erschienen war, nämlich seit 1883. etliche Jahre vergangen sein.