Heft 
(1972) 14
Seite
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Mithin dürfen wir als sicher annehmen, daß dieDichteraspirationen ln der zweiten Novemberhälfte 1891 oder später entstanden sind.

Es erheben sich nun zwei Fragen: erstens die nach der Position derDichter­aspirationen im Kontext verwandter Äußerungen Fontanes und seiner Zeitgenossen sowie zweitens die Frage, warum der Dichter den Entwurf nicht überarbeitet und vetbffentlicht hat.

Um die Bedeutung derDichteraspirationen aus dem Zusammenhang Fontane scher literaturtheoretischer Auffassungen beurteilen zu können, wird es gut sein, daß wir in Kürze und mit eigenen Worten zusammenfassen, was Fontane zumal in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens Uber die gesellschaftliche Stellung de 1 - Schriftstellers in Preußen-Deutschland geäußert hat. Als Quellen dienen neben den Aufzeichnungen von 1881 UberDie gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland (AL 177-190) und dem 1891 veröffentlichten AufsatzDie gesell­schaftliche Stellung der Schriftsteller (SL 117-121) nicht zuletzt die Briefe und Tagebücher Fontanes (vgl. dazu SL 265-273 ; 479-484) und Gedichte wie etwa.Es soll der Dichter mit dem König gehn 1 undDer echte Dichter.

Der Schriftsteller, das ist Fontanes Überzeugung, nimmt im Preußen-Deutschland seiner Zeit eine untergeordnete, ziemlich niedrige gesellschaftliche Stellung ein, die ihn zumindest mitunter - der Verachtung preisgibt. Und wenn das nicht gerade der Fall ist, so bleibt der Schriftsteller doch relativ unbekannt. Man nimmt kiHim Notiz von ihm. Eine Ausnahme machen allenfalls die Schriftsteller, die bloße Unterhaltungsliteratur liefern und dem in seiner literarischen Bildung am wenigsten entwickelten Teil des lesenden Publikums zu Munde reden (wie etwa Julius Wolff), oder die, die in übertrieben patriotischer. Ja. chauvinistischer Manier schreiben und sich so in den Dienst der herrschenden Mächte stellen. Eine exzep­tionelle Position erlangen schließlich auch einige wenige, die wie etwa Paul Hcyse mehr durch ihre gewinnende Persönlichkeit als durch Ihr literarisches Schaffen wirken.

Im übrigen finden natürlich einige Schriftsteller der Vergangenheit Anerkennung, die zu Klassikern aufgestiegen sind und deren Kunst über Jeden Zweifel erhaben ist. oder solche, deren Elend und Mißgeschick ln romantischem Lichte schimmert und darum fasziniert. Denn gerade dieses Bild vom Dichter wird von den Herr­schenden gefördert und von vielen Menschen unkritisch übernommen.

Aber der Schriftsteller, meint Fontane, wird nicht nur wenig geachtet, er lebt auch in vielen Fällen unter kümmerlichen Bedingungen. Ja. mancher Schriftsteller führt ein Hungerdasein. Wenn man von den erwähnten Ausnahmen absieht, muß man sagen, daß seine materielle Existenz nicht gesichert ist. Zur Mißachtung kann sich die Not gesellen.

Wenn sich Fontane dann Gedanken darüber macht, wie es zu dieser Situation gekommen ist und wo die Ursachen liegen, so bleibt ihm die Kunstfelndllchkelt der gesellschaftlichen Verhältnisse in Preußen-Deutschland nicht verborgen. Der Etorussismus ist schuld daran, daß nur das. was unmittelbar dem Staat und der Aulrechterhaltung überholter gesellschaftlicher Verhältnisse dient. Rang und Würde hat. Der Adlige, der Offizier, der Staatsbeamte, der Geheimrat. der Professor, sie gelten etwas, nicht aber der Schriftsteller. Denn seine gesellschaftliche Nütz­lichkeit unterliegt argem Zweifel. Es ginge auch ohne Ihn. Zudem läßt die über­mächtige Geltung der politischen und militärischen Ereignisse und des technischen Fortschrittes die Dichtung und den Schriftsteller in den Hintergrund treten. Wenn doch das Metier des Schriftstellers wenigstens viel Geld einbrächte, das würde ihm immerhin noch ein gewisses Ansehen verschaffen und seinen Mangel an gesellschaflicher Nützlichkeit verdecken. Aber bei den meisten Schriftstellern kann davon keine Rede sein. Mit anderen Worten: in den Augen der herrschenden Klassen, des Adels wie der Bourgeoisie, führt der Schriftsteller ein unnützes und

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