gedrungen ist. Fontanes Auffassungen wurden hier vielmehr referiert, um zu zeigen, daß er sich sowohl um eine möglichst umfassende Beschreibung der Sachverhalte wie auch um eine Ermittlung- der Ursachen bemüht hat. Wenn man nun mit diesem differenzierten und vielschichtigen Bild, das Fontane an anderen Stellen entwirft, die in den „Dichteraspirationen“ entwickelten Gedanken vergleicht, kann man nicht umhin zuzugeben, daß darin nur ein Teil der Gesamtproblematik zur Sprache kommt und daß vor allem nichts weiter als eine Beschreibung der Phänomene geliefert, auf jeden Versuch der Ergründung der Ursachen aber verzichtet wird. Denn Fontane kommt in diesem Entwurf nicht hinaus über die Feststellung: der Dichter schlägt sich kümmerlich durch und wird verachtet oder doch nicht beachtet. _
Fontane mag selbst eingesehen haben, daß mit einer solchen Feststellung allein, so richtig sie auch immer sein mochte, noch nichts getan war. Gewiß, eine Warnung davor, das Schillerwort unbesehen als bare Münze zu nehmen, und die Aufforderung, nicht länger Unfug damit zu treiben, hatten ihre Berechtigung. Und es kann und soll auch nicht bestritten werden, daß Fontanes tristes Bild von der Lage des deutschen Schriftstellers viel, sehr viel Wahres enthielt. Aber Situationsschilderung, Warnung und Mahnung blieben im Negativen stecken, entbehrten jeder Entwicklungsperspektive und hatten keine praktischen Vorschläge zur Konsequenz, die auf eine Veränderung der Verhältnisse hinzielten. Der Aufsatz vom Dezember 1891 „Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller“ hatte bereits wesentlich mehr geboten.
Indessen Fontane blieb in dem Entwurf nicht nur hinter sich selbst zurück, er konnte die „Dichteraspirationen“ so. wie sie uns vorliegen, schwerlich als ernsthaften Beitrag zu der Diskussion publizieren, die ln den achtziger und neunziger Jahten um die soziale Position des Schriftstellers geführt wurde.
Es sei hier, um nur einiges aus dieser Diskussion herauszugreifen, etwa auf Otto von Leixners im April 1888 erschienenen Aufsatz „Die Stellung des deutschen Schriftstellers“ hingewiesen (in: Der Kunstwart. Jg. 1 (1887/88), S. 185-187). Darin wird bereits das Schiller-Wort aufgegriffen und kritisch mit den tatsächlichen Verhältnissen konfrontiert: „Nach den Worten eines Großen steht der Dichter auf ,der Menschheit Höh’n“ neben den Königen. Eine mehr bevorzugte Stellung kann uns wahrhaftig nicht angewiesen sein“, sagt Lelxner, um dann fortzufahren: „Seltsam genug klingt es ins Ohr, wenn man nun die Klagen über die tatsächliche Stellung des Standes hört. Der Schriftsteller gelte ln Deutschland weniger als in Jedem anderen Lande“ (ebenda. S. 185). Leixner gibt zu, daß diese Klagen in bestimmtem Umfange berechtigt sind. Er entwickelt im übrigen Gedanken, die. ungeachtet etlicher Differenzen, in manchen Punkten durchaus mit dem übereinstimmen, was Fontane darüber öffentlich oder privat geäußert hat. Auch Leixner spürt den Ursachen der miserablen Lage der Schriftsteller nach. Er findet sie zum kleineren Teile in den — von ihm unkritisch hingenommenen — gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Zeitereignissen, zum größeren aber bei den Schriftstellern selbst. Für ihn steht fest, „daß an den meisten Übelständen die Schriftsteller selbst die größte Schuld tragen“ (ebenda. S. 186). Er macht den Schriftstellern etwa die gleichen Vorwürfe wie Fontane, räumt aber ein, ein Teil der Mißstände werde sich nicht beseitigen lassen, da sie ihre Ursache „in den Erwerbsverhältnissen und im Wesen der Presse“ hätten (ebenda, s. 187). Bei den Vorwürfen, die er den Schriftstellern macht, denkt Leixner vor allem an die „Oberflächlichkeit“ mancher Autoren, an Ihren Mangel an Standesehre, an ihre Konzessionsbereitschaft gegenüber der „großen Masse“ und an ihre Entschlossenheit, um Jeden Preis Geld zu verdienen (ebenda, S. 186 f.)* Wenn auch Otto von Leixners Fähigkeit und Bereitschaft, bis zu einer Kritik der gesellschaftlichen Verhältnise vorzudringen, ihre Grenzen hatten, so muß doch
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