Heft 
(1972) 14
Seite
391
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anerkannt werden, daß er immerhin Ansätze zu einer realistischen Analyse auf­zuweisen vermochte. Er erkannte, daß das von ihm kritisierte Verhalten der Schriftsteller, wie er meinte, zumindest zum Teil ein Ergebnis des Zwanges ist, den die gesellschaftlichen Verhältnisse ausüben.

Es sei hier noch an einen anderen Diskussionsbeitrag erinnert, nämlich an den von Wilhelm Bölsche, der in einem AufsatzVom deutschen Schriftstellerstand (in: Freie Bühne für modernes Leben. Jg. 2 [1891], S. 1049-1053) die gesellschaft­lichen Verhältnisse und den harten Existenzkampf analysiert, denen die Schrift­steller ausgesetzt sind. Bölsche verbindet mit der Einsicht, daß der Schriftsteller unter solchen Verhältnissen seine moralische Integrität nicht wahren kann, die Aufforderung zurKritik dieser Verhältnisse (ebenda, S. 1053).

Zwar hat es in dieser Diskussion auch an rückschrittlichen Stimmen nicht gefehlt. So entwickelte etwa Ferdinand Avenarius elitäre Gedanken (Vom deutschen Schriftstellerstand. In: Der Kunstwart. Jg. 5 [1891 92], S. 1-3). Und es gab offen reaktionäre, provokante Beiträge wie den von Alexander Baron von Roberts (Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller. In: Das Magazin für Literatur. Jg. 61 [1892], S. 153154). Trotzdem läßt sich nicht bestreiten, daß die Diskussion auf einem relativ hohen Niveau geführt wurde, zumal wenn man bedenkt, daß die Teilnehmer meist bürgerliche Schriftsteller waren.

Das alles muß man sich offenbar vor Augen halten, wenn man die Frage beant­worten will, warum Fontane den Entwurf nicht nach kurzer Überarbeitung veröffentlicht hat: dieDichteraspirationen entsprachen nicht nur nicht den Anforderungen, die Fontane sicherlich an sich selbst stellte, sondern auch denen nicht, die seine Kollegen an ihn und seine Äußerungen gestellt hätten.

Das dürfte der erste und wichtigste Grund für die Zurückhaltung des Manuskripts gewesen sein.

Der zweite Grund dürfte auf anderer Ebene liegen. Handelt es sich doch bei diesem Entwurf um ein stark autobiographisches Dokument, das sehr persönlichen, ja, bekenntnishaften Charakter trägt. Das bezeugt z. B. der Ausruf:Unglückseliger! Ich selber bin .einer. Dafür spricht auch die Erwähnung seiner Kinder. Zweifel­los wird der Entwurf dadurch für uns umso wertvoller und interessanter, doch er eignete sich der persönlichen Note wegen wenig zur Publikation.

Einer Veröffentlichung stand aber - drittens - auch entgegen, daß dieDichter­aspirationen, eben weil sie Bekenntnischarakter tragen und mit großer innerer Anteilnahme und persönlichem Engagement geschrieben sind, nicht frei von Subjektivitäten, Überbetonungen oder gar Übertreibungen blieben. Manche Formu­lierung klingt sehr zugespitzt, und etliche Überhöhungen entspringen, wie es scheint, der augenblicklichen Stimmung. Obgleich aber Fontane in seinem Aufsatz von 1891 viel maßvoller formuliert hatte, war ihm bereits darauf, wenn auch vorsichtig und schonend, von Friedrich Spielhagen (der wohl nicht wußte, daß Fontane der Autor war, denn der Aufsatz erschien anonym) am 9. 1. 1892 geant­wortet worden, was dort über die geringe Achtung vor dem Schriftsteller gesagt werde, das seienarge Übertreibungen, die er [d. h. Fontane. J. K.] denn auch Wehl nur in einem Moment des Unmuts in seiner genialischen Weise so heraus­geschleudert hat (F. Spielhagen: Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller. Io: Das Magazin für Literatur. Jg. 61 [1892], S. 18). Um wieviel mehr hätten wohl dieDichteraspirationen Anlaß geboten zu dem Vorwurf, der Unmut habe Fontane die Feder geführt und ihn zuargen Übertreibungen verleitet!

Wenn Fontane es in diesem Falle vorzog, seinen Kritikern keinen neuen Stoff zu liefern, so hat er sich für diese Zurückhaltung in seinen Briefen gleichsam ent­schädigt. Um nur ein Beispiel zu wählen: in einem am 22. 4. 1892 geschriebenen Brief an Georg Friedlaender läßt Fontane der pointierten Brillanz seiner Formu­lierungen und den damit verbundenen Subjektivitäten durchaus freien Lauf. Indem