Heft 
(1972) 14
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a. a. O., S. 176), wenn auch dieArmut nur als relativ zu verstehen Ist (es war zuvor von dem reichen Fabrikanten die Rede). An der Richtigkeit dieser Fest­stellung ändern auch gelegentliche Widersprüche in Fontanes Äußerungen kaum etwas. Indes aus denDichteraspirationen hätte man sehr wohl eine durchaus gegenteilige Haltung herauslesen können.

Auch diese Gesichtspunkte werden Fontane in dem Entschluß bestärkt haben, den Entwurf beiseite zu legen.

Gotthard Erler (Berlin)

Fontane und Hauptmann

Als sich Gerhart Hauptmann 1938 mit der Fortsetzung seiner Lebens­geschichte beschäftigte er hatte sie imAbenteuer meiner Jugend ('937) nur bis zum Sommer 1889 verfolgt, da gedachte er in einem eigenen Kapitel auch Theodor Fontanes (und genau besehen, ist dieser Abschnitt das Interessanteste und Stichhaltigste in den zwiespältigen, vielfach bedenklich retuschierenden Aufzeichnungen, die 1966 unter dem TitelDas zweite Vierteljahrhundert aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden). Hauptmann erinnerte sich derwarmen, geradezu väterlichen Teilnahme, mit der Fontane zwischen 1889 und 1898 sein dramatisches Schaffen vonVor Sonnenaufgang bis zurVersunkenen Glocke begleitet habe. Der alte Hauptmann war sehr von seiner Singularität überzeugt, er fühlte sich nicht leicht jemandem verpflichtet, und so will es schon etwas besagen, wenn er Fontane dankbar seinenhöchsten Protektor nannte.Ich hatte Ursache anzunehmen, der alte Herr möge mich persönlich gern. Man sah ihn übrigens täglich im Tiergarten, den kleinen bunten Wollplaid locker über die Schultern genommen, auf die das graue Haar strähnig herunterflel. Ein dichter Schnurrbart und Kinnbart verdarb nichts an diesem schönen, klug-sympathischen Dichter­kopf.

Tatsächlich, deralte Herr in der Potsdamer Straße mochte ihn gern. Er hatte schon in der Besprechung vonVor Sonnenaufgang im Oktober 1889 mit sichtlichem Wohlgefallen von demschlank aufgeschossenen jungen blonden Herrn geschrieben, der sich mituntadligsten Manieren und mit einergraziösen Anspruchslosigkeit auf der Bühne verbeugt habe. Später sprach er von demliebenswürdigen Dichter, der mal wirk­lich einer ist und ein Mensch dazu (an Brahm, 27. September 1894), und noch am 19. März 1895 bemerkte er in einem Brief an Friedlaender. Es ist wahr, es gibt überhaupt wenige nette Dichter, aber sie kommen doch am Ende vor und beweisen einem, daß Talent, Hochflug und Reich­tum an Herz und Seele mit Bescheidenheit gepaart sein können. Ein glänzendes Beispiel ist Gerhart Hauptmann. Ein erstaunliches Kompli­ment, wenn man bedenkt, welch gegensätzliche Naturen sich da begeg­neten und wie anspruchsvoll Fontane in der Wahl seiner Bekannten zu sein pflegte.

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