Der junge Hauptmann sah sich fasziniert von der liebenswürdigen Güte und dem künstlerischen Verständnis, die der erfahrene Kollege und angesehene Kritiker ihm, dem Anfänger, entgegenbrachte. Ihn überraschten die geistige Elastizität und das jugendliche Engagement, mit dem ein „auf dem Aussterbe-Etat stehender alter Herr“ (Fontane an Ackermann, 8. September 1889) auf seine revolutionierenden Intentionen einging und sie coram publico verteidigte. Fontane seinerseits erkannte in Hauptmann sofort den originellsten Kopf der naturalistischen Bewegung, der in gesellschaftliche Tabus nicht einfach mit einem herkömmlichen „Tendenzstück“ einbrach, sondern mit eigenständigen Kunstwerken neue soziale Bereiche erschloß.
Fontane hatte bekanntlich entscheidenden Anteil an der Uraufführung von „Vor Sonnenaufgang“. Er empfahl das Stück mit Nachdruck für die „Freie Bühne“. Brahm, der den Text schon kannte, wird sich durch Fontanes Wort zweifellos in seiner Entscheidung bestärkt gefühlt haben. Noch „ganz benommen“ von der Lektüre, schrieb Fontane am 14. September 1889 an seine Tochter: „... er [Hauptmann] gibt das Leben, wie es ist, in seinem vollen Graus; er tut nichts zu, aber er zieht auch nichts ab und erreicht dadurch eine kolossale Wirkung. Dabei (und das ist der Hauptwitz und der Hauptgrund meiner Bewunderung) spricht sich in dem, was dem Laien einfach als abge6chriebnes Leben erscheint, ein Maß von Kunst aus, wie’s nicht größer gedacht werden kann.“ Fontane zögerte nicht, diesen Hauptmann zum „wirklichen Hauptmann der schwarzen Realistenbande“ zu ernennen und seine Überzeugung — gegen den Widerstand der Redaktion — in den Spalten der „Vossischen Zeitung“ zu vertreten. Hauptmann äußerte in der Rückschau des Jahres 1938, daß ihm diese Kritik ebensowenig geben konnte, „wie mir irgendeine Kritik je etwas bedeutet hat“. Damit wertete der greise Hauptmann die kritische Starthilfe Fontanes ungerechtfertigt ab; nicht zufällig widmete ja der junge Hauptmann sein zweites Werk, „Das Friedensfest“, gerade Theodor Fontane, der es wiederum in der „Tante Voß“ anzeigte und der dann auch über „Einsame Menschen“ berichtete. Ja, als Fontane sein Kritikeramt längst aufgesteckt hatte, griff er bezeichnenderweise bei der ersten Aufführung der „Weber“ in der „Freien Bühne“ im Februar 1893 noch einmal zur Rezensentenfeder, um das Schauspiel zu analysieren. Seine Briefe zeugen davon, daß er auch die späteren Dramen Hauptmanns kritisch registrierte.
Wie weit andererseits Gerhart Hauptmann das epische Spätwerk Fontanes zur Kenntnis nahm, ist nicht sicher zu sagen. Frau Emilie schickte ihm nach dem Tod ihres Mannes — noch in seinem Aufträge — den „Stech- lin“, und im Fontane-Kapitel des „Zweiten Vierteljahrhunderts“ heißt es beziehungsvoll: „Es ist kein gutes Zeichen für den Stand der literarischen Verhältnisse in Deutschland um jene Zeit, daß ein Mann, der die Romane ,L’Adultera‘, .Irrungen, Wirrungen*, ,Frau Jenny Treibei* u. a., außerdem die märkischen Wanderungen geschrieben hatte, um zu leben, auf das Gehalt seiner Zeitung durchaus angewiesen war.“ Aus diesen Worten spricht die Hochachtung vor dem Romancier Fontane.
An gegenseitiger Wertschätzung der künstlerischen Leistungen, an auf-
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