Originalen. Ich danke dem Theodor-Fontane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek, Potsdam, das die Briefe Hauptmanns, und dem Gerhart- Hauptmann-Archiv in der Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Westberlin, das die Briefe Fontanes und seiner Familie aufbewahrt, für die Abdruckserlaubnis.
Fontane an Paul Ackermann
Berlin, 8. September 1889 Potsdamer Straße 134 c
Sehr geehrter Herr.
Durch einen Zufall wurde auf meinem Riesenschreibtisch (ein altes Erbstück von einem längst verstorbenen Sammler) das G. Hauptmannsche Stück verpackt und verschoben, so daß ich es am Freitagabend erst wieder entdeckte. Ich machte mich gleich an die Lektüre, las an demselben Abend auch den 1. Akt und gestern (Sonnabend) den Rest. Ich war ganz benommen, und ich kann Ihnen nur gratulieren, etwas so Hervorragendes ediert zu haben. Von „erfreulich“ ist freilich keine Rede, auch erschrecke ich, wenn ich mir vorstelle, „das soll nun die Literatur der nächsten Epoche sein“; die Literatur hat im letzten andre Aufgaben. Aber um zu diesen andren Aufgaben zu kommen und doch nicht in Melchthals Apostrophe an das Auge und das Licht zu verfallen, dazu sind Durchgangsstufen nötig. Und dies ist eine davon. Der Herr Verf. ist an eine Aufgabe herangetreten, die er — was die wenigsten, die Berühmtheiten mit eingerechnet, von sich sagen können — vollständig beherrschte, der er gewachsen war. Er kennt das, was er schildern wollte, und auf gleicher Höhe wie seine Beobachtungsgabe steht seine Kraft der Darstellung. Vor allem der kurze 2. Akt ist ganz Nummer eins. All dies erschöpft aber mein Lob noch keineswegs. Das Leben scharf beobachten und das Beobachtete kraftvoll darstellen, das können zwar nicht sehr viele, aber doch eine ganze Menge; was aber diese glücklichen Beobachter und Darsteller nicht können, oder doch nur ganz, ganz selten können, das ist: ein Kunstwerk hersteilen. Meist nicht mal einen Roman, noch seltener natürlich ein Drama. Dies ist nur ganz wenigen geglückt. Und die Kunst, mit der G. Hauptmann vorgegangen ist, die Komposition, die Konsequenz in Durchführung des Gedankens, die Knappheit des Ausdrucks, die Klarheit, so daß kein nebulöser Rest bleibt, das ist das, was ich an dieser Arbeit am höchsten stelle. Halte ich Umschau, so steht das Stück Ibsens „Wildente“ am nächsten; es geht aber alles klarer auf, man weiß mehr, woran man ist, und kommt dadurch unter eine stärkere Wirkung. Überhaupt mit dem ganzen Ibsen verglichen, den ich übrigens sehr hoch stelle, hat das Stück eine Natürlichkeit voraus, die der norwegische Dichter zwar anstrebt, aber unter Raffiniertheiten, Pußlichkeiten und siebenfach auszulegenden Orakelsprüchen oft einbüßt. Was dem Dichter vielleicht das angenehmste zu hören sein wird: ich halte es nicht für unmöglich, daß sein Stück, wie es da ist, mit Haut und Haaren aufgeführt werden kann, und möchte mich, wenn sich solche Aufführung ermöglichen sollte, für einen großen Erfolg verbürgen.