Schriften]. Während Fontane Unterhaltungsromane schrieb, schuf er den Gesellschaftsroman. Seine mit Dialogen reich versehene Prosa wirkt weniger hinreißend, man hat jedoch den Eindruck, sie sei mit spielerischer Leichtigkeit geschrieben.
Fontane hat die künstlerische Gabe, den Leser zur inneren Anteilnahme, zum Stellungnehmen und auch zur Erkenntnis anzuregen. Die Handlungen der Personen und Helden in den Romanen Fontanes werden unter den Gesichtspunkten ihrer Herkunft und der Einflüsse ihrer gesellschaftlichen Umgebung verständlich, wenn sie auch nicht immer zu billigen sind. Milde, Güte und Gerechtigkeit bestimmen das Urteil Fontanes; im Mittelpunkt der Beurteilung steht stets der Mensch mit seinen Fehler und Schwächen, aber auch mit seinen positiven Seiten. Unter dem Vorwand der Zeit „Als ich ein junger Herr noch war“ sitzen auch die Helden des Krudy-Romans*) in einer Kneipe in Pest, irgendwo in der Kiräly-Straße, sie kommen und gehen hin und her, tun nichts, unterhalten sich nur und schildern uns dabei eine ganze Welt, nicht nur ihre eigene.
Die Art der Schilderungsweise Fontanes ist so ähnlich (obwohl seine Stilmittel viel sachlicher sind), seine Helden leben in einer konkreten Welt, sie äußern sich und klagen über scheinbar unwichtige Einzelheiten, die heute schon ins Museum gehören, eröffnen aber dabei die ganze Welt vor dem Leser. Dabei sind die anekdotischen Einzelheiten gar nicht von ungefähr: es wimmelt in seinen Romanen von historischen Persönlichkeiten, historischen Namen, oder Namen, die im Begriff sind, in die Geschichte einzugehen; so läßt sich z. B. auf Grund der historischen Schauplätze die Topographie des alten Berlin rekonstruieren: alles ist auf seinem Platz, die Häuser, Brücken, Statuen, Fabriken, Kneipen, Cafes und sogar die Lieder, Sprüche und der Klatsch, und wie man die Namen der Generäle, Maler, Weinhändler oder Politiker in einem guten Lexikon vorfindet, so könnte man die der Oberkellner, der Kesselflicker, der Miedermacherinnen einwandfrei belegen. Die Photographie der Freifrau von Ardenne beweist es: sogar das Forschen nach den fingierten Helden ist nicht immer vergebens... (Man hat aber mit der Zeit immer weniger Hoffnung; die Details verschwinden: die pikante Liebesszene im Roman „Die sieben Eulen“ [,,A höt bagoly“] spielt sich öffentlich vor den Augen der Städte Buda und Pest auf dem Eise der Donau ab; es ist sicher nicht nur der Phantasie von Krudy zu verdanken. Aber wer weiß es heute, mit wem es geschehen ist?)
Nördlich von Berlin sieht man in eine Tiefe von 12 Metern in einen klaren See hinein. Wenn irgendwo die Erde bebt, dann schlägt der Stechlin (so heißt nämlich der See) Wellen; er spürt es, es kann noch so weit herkommen (ein roter Hahn fliegt dann aus dem See heraus, erzählt weiter die Sage; heute steht das größte Atomkraftwerk der DDR an seinen Ufern). Es ist die „kleine Welt“ Fontanes, die Mark Brandenburg, die preußische Gegend der Vergangenheit, die der Menschen, des
*) Roman des bedeutenden ungarischen Erzählers Gyula Krudy <1878—19*3 ): „Boldogult urfikoromban“ [1930].
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