lebendigen Museums, der Kulturgeschichte. Aus dieser Mikrowelt aber wächst das Ganze heraus, ebenso wie der See des letzten Romans Fontanes, der Stechlin, der durch verborgene Verbindungen sensibel mit den seismologischen Bewegungen der Natur in Verbindung bleibt.
..Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn ebendies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist der Tod.“ Eine wichtige Figur des Stechlin-Romans spricht diese Worte aus; es ist der alte Fontane, der sie ausspricht. Er spricht dies offensichtlich auch über sich selbst aus, denn er war es, der sich zeitlich nicht „einmauern“ ließ, sondern das eigene Leben von den determinierenden Fesseln der starren Daten befreite, die, wie das Beispiel in seinem Falle zeigt, trotzdem nicht die richtigen Determinante sind. Wir sprechen von dem alten, ewig jungen Fontane.
Aufgeschlossen für alles Neue, erkennt der alte Fontane in jugendlicher geistiger Frische, daß die Jungen den Tag und die Stunde haben, daß sie „dran" sind. Nicht ohne Befriedigung stellt er fest: „Die Jugend hat mich auf ihren Schild erhoben — ein Ereignis, das zu erleben, ich nicht erwartet habe.“ An der Schwelle der Jahrhundertwende konnte Theodor Fontane sein hohes Alter, um sich eines modernen Ausdruckes zu bedienen, auf die Jugendhaftigkeit eines weit in die Zukunft sehenden, produktiv-weisen Mannes umfunktionieren. So konnte Fontanes Werk nicht nur das von Spielhagen und Heyse, sondern auch die Erdentage seiner Effi überleben, obwohl sie ziemlich lange lebte, wenn man ihrem Enkel, dem hochangesehenen Naturwissenschaftler, Glauben schenken darf.
Literaturangabe: Nagyviläg. Zeitschrift für Weltliteratur, Budapest, 1969, H. 12.
Heide Streiter-Buscher (Bonn)
Die Konzeption von Nebenfiguren bei Fontane 1
Als Fontane sich 1866 mit der Figurenkonzeption für seinen ersten Roman beschäftigte, faßte er in einem Brief an den Berliner Verleger Wilhelm Hertz den Extrakt seiner Überlegungen mit den Worten zusammen-. „Man muß Vordergrunds-, Mittelgrunds- und Hintergrundsfiguren haben, und es ist ein Fehler, wenn man alles in das volle Licht des Vordergrunds rückt.“ Diese Maxime, durchaus nicht singulär in jener Zeit (man denke etwa an Spielhagens Ausspruch aus dem Jahre 1876'), erinnert an Vischers Vorstellung 1 , daß der Epiker „in Theilung und Beschränkung dieser von Gestalten wimmelnden Fläche dem Maler gleichen [müsse], der durch einen wirklichen Ausschnitt des Raumes den unend-
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