Neben dem Programmieren der zentralen Gestalten beziehungsweise Gruppen beginnt schon frühzeitig das „Schemaaufstellen“ für die wichtigsten Nebenfiguren. Das sieht in Fontanes Praxis so aus, daß er, sobald ihm das Bild einer für seine Zwecke geeigneten Gestalt vor Augen schwebt, das intuitiv Erschaute auf einem besonderen Blatt stichwortartig niederschreibt und in seinen wesentlichen Zügen festhält. Nach und nach baut er diese Personenskizze zur Charakterstudie aus. Auf diese Weise gesellte sich rasch Figur zu Figur: „das Uhrwerk seines personenbildenden, personendichtenden Triebes“'- lief unaufhörlich. Freilich ist es nicht der ,Trieb 1 eines Zola, dessen Gabe, Gestalten .herauszu- sehmeißen*, „als ob er über Feld ginge und säte“ 13 Fontane rühmt. Vielmehr ist es eine Sammlerleidenschaft, die derjenigen entspricht, mit der er den Stoff für seine .Wanderungen* zusammengetragen hat 11 : „Und sorglos habe ich gesammelt, nicht wie einer, der mit der Sichel zur Ernte geht, sondern wie ein Spaziergänger, der einzelne Ähren aus dem reichen Felde zieht.“
Fontanes Konzeption der Nebenfiguren ging in der Regel — wie bereits Julius Petersen anhand des .Allerlei Glück'-Fragments nachgewiesen hat 15 — von der charakteristischen Redeweise, vom typischen „Sprech- Eiid“ der Personen aus (eine Technik, die vor allem die englischen Romanciers seit Fielding und Sterne ausgebildet haben" 1 ). Damit traten sie in das Blickfeld des Erzählers, noch bevor ihre äußeren Umrisse, biographischen Details oder gar ihre Stelle im Erzählwerk festlagen. An den drei folgenden Niederschriften läßt sich die stufenweise fortschreitende Personenkonzeption Fontanes deutlich ablesen.
Auf einem Blatt — ,Roman oder Novelle.' überschrieben — faßte der Dichter zunächst folgende Redewendungen ins Auge 17 :
1. „Na überhaupt.“
2. „Untertauchen.“ Statt mal verschwinden, abtreten. Ort wechseln. Eine Figur, die die Weisheit des Lebens darin sieht: nicht immer da zu sein.
3. „Er ist ein Wichtigthuer.“
Auf einem weiteren Blatt, „Na überhaupt“ betitelt, kennzeichnet Fontane den Träger dieser Redewendung durch weitere Floskeln 18 :
Romanfigur. Ein Gymnasial-Direktor wie der alte Thormeyer war; ein riesiges, rothes, apoplektisches Monstrum, das immer latini- sirt, graecisirt und philosophirt und immer von a priori und a posteriori und von „quantitativer“ und „qualitativer“ Bildung spricht etc.
Auf einem dritten Blatt schließlich, das ebenfalls die Überschrift „Na, überhaupt!“ trägt, gibt Fontane der Figur des Gymnasial-Direktors, aus dem nun ein Kaufmann geworden ist, weitere Konturen und stellt sie in Beziehung zu den Gestalten des Vordergrunds 10 :
Einer von den untergeordneten Männern, die bei Pappenheims verkehren und an der Kegelparthie in Wilmersdorf theilnehmen, hat die Redensart: „na, überhaupt!“ mit der er all seine Kannegießereien und sonstigen Weisheiten abschließt. Es muß ein klug- schmusiger, geschwätziger Kaufmann sein, guter Kerl, aber eitel und unbedeutend. Also beispielsweise: „Und die ganze Bureau-
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