Erzählung, zumal wenn Berlin Schauplatz ist, irgendeine Gestalt aus .Allerlei Glück* verwertet hat 08 Entsprechende Ausbeute boten andere Romanfragmente, zum Beispiel auch der Novellenentwurf .Melusine*.
Die Figuren .wandern* aber nicht nur zwischen den Romanen, sondern auch innerhalb ihrer rangmäßigen Anordnung im Gefüge eines Werkes. Personen, die Fontane zunächst als Nebenfiguren entworfen hatte, bilden sich unter seiner formenden Hand allmählich zu Zentralgestalten aus. So wurde die Nebenfigur des Ozon-Enthusiasten in .Allerlei Glück* „zu einer humoristisch-sentimentalen Hauptperson“. Durch die Randbemerkung „Ist eine Hauptfigur ** 1 " 1 registrierte Fontane diesen Stellungswechsel. Ein entsprechendes Beispiel bietet ,Der Stechlin*. Die Gestalt des Pastor Lorenzen war zunächst als humoristisch-angehauchter Anekdotenerzähler gedacht. Mit der Verlagerung des Schwerpunktes auf christlich soziales Gedankengut nahm die Bedeutung des Predigers zu. „Pastor Lorenz ist in einer Beziehung eine Hauptfigur“, heißt es im Manuskript 1 ™', „die Geschichte mit dem Stechlin- See, die den gedanklichen Kern des Ganzen bildet — wird durch ihn vertreten: was an der Stechlin-Geschichte Symbol und Zeichen ist, das wird durch ihn beständig gedeutet. Er entwickelt beständig den Gedanken, für den der Stechlin-See das Symbol ist.“ Der umgekehrte Prozeß läßt sich beispielsweise an der Gestalt der Herrnhuterin Schorlemmer in .Vor dem Sturm* beobachten, die durchaus „keine Nebenfigur in diesem Buche“ sein soll 101 , die aber dennoch nicht als Hauptgestalt gelten kann, da sie im Hinblick auf die im Roman verwirklichte dichterische Intention unbedeutend ist. Die Tonart des Erzählers wechselt, sobald er von der Herrnhuterin berichtet, zwischen Ironie und Satire und läßt sie dadurch als Karikatur erscheinen — um so mehr, als er ihre Gestalt durch nur wenige kräftig gezeichnete Wesenszüge umreißt. Was der Dichter durch sie zum Ausdruck bringen will, ist die sich in fromm-gemütvollen Sprüchen äußernde Scheinreligiosität, die das Christentum wie eine „Hausapotheke “ 102 gebraucht.
Anmerkungen
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Gekürztes und revidiertes Kapitel aus meiner Diss. „Die Funktion der Nebenfiguren ln Fontanes Romanen - unter besonderer Berücksichtigung von ,Vor dem Sturm* und .Der Stechlin*“. 1969 [Masch.].
„Briefe Theodor Fontanes“. 2. Slg. I—II, hg. v. O. Pniower u. Paul Schlenther, 1910 (zlt: Briefe I. II). I. 246.
„(. . .1 der Romandichter, der viele Personen in Scene setzen und auf Vordergrund. Hinter- und Mittelgrund schicklich verteilen soll, braucht einen möglichst großen Rahmen und kann eigentlich gar nicht genug Farben zur Verfügung haben.“ F. Spielhagen. „Beiträge zur Theorie und Technik des Romans“. 1883. 246.
F. T. Vischer. „Aesthetik“, 1846. § 870: vgl. dort ferner §§ 500, 663. 668. Novellenentwurf .Hans und Grete*, in: T. Fontane. „Sämtliche Werke“. 1962 ff. (Hanser-Ausg.) (zit: H mit Abteilungs-. Band- und Seitenzahl), 1/V, 819.
Vgl. z. B. T. Fontane. „Sämtliche Werke“. 1959 ff. (Nymphenburger Ausg.) (zit: N mit Band- und Seitenzahl), XXII 1. 517: H. Fricke, „Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg als Vorstufe seiner epischen Dichtung“, in: Jb. brandenburg. Landesgesch. XIII (1962). 130.