Heft 
(1972) 15
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Vorzügen, auch ihre Schwächen und Gefahren hat, zur Norm erheben wollen. Das thun Sie aber in den 3 Balladen, die Ihre Güte mir schickte. Sie sind ganzakademisch, wenn ich darin Recht habe, daß volkstüm­liche Dichtung gerade so gut wie klassische Dichtung akademisch behan­delt werden kann. Beim Balladenschreiben dürfen wir nurAnleihen bei der Volksballade machen, aber wir müssen durchaus von unserem Eigenen hinzuthun, ja das Eigene muß die Hauptsache bleiben. Oder mit anderen Worten, wir müssen dem alten Balladenton eine neue Stoffwelt, oder der alten Stoffwelt eine neue oder wenigstens einen sehr veränderten Balladenton zuführen. Am Besten ist es, wenn wir Beides auffrischen und die alte Ballade nur als einen Erinnerungsklang im Ohr behalten. Alle direkten Nachbildner der alten Volksballade haben meines Wissens kein Glück gehabt, während Bürger, Goethe, Heine den Vogel abschossem und selbst die Schwaben: Uhland, Justinus Kerner, Mörike, mit den Sachen ihre größten Erfolge erzielten, denen sie (sich einigermaßen emanzipierend) ein gut Theil ihrer selbst hinzugefügt hatten.

Th. Fontane

Berlin 12. Dezb. 87.

Potsd. Str. 134.C.

Hochgeehrter Herr Professor.

Ergebensten Dank für Ihre liebenswürdige Karte, desgleichen für das kleine Balladenheft, das mir durch Ihre Güte zu Anfang des Herbstes zuging 15 . Es kam gerade, als mir mein ältester Sohn, Hauptmann in unserer Armee, der kurz zuvor mit einem liebenswürdigen Amster­damer Literatur-Professor Privatdozent Dr. Frantzen im Bade zu Hom­burg Freundschaft geschlossen hatte plötzlich starb und unser Haus in Trauer versetzte 16 . Da hat sich dann viel Brief- und Lese-Schuld aufgehäuft. Ich bin aber dabei sie abzutragen und in wenigen Tagen werden Sie einen Brief erhalten, in dem ich über die Balladen ein­gehender wenn auch nicht so lang wie das vorige Mal sprechen werde. Vorläufig ist heute durch meinen jüngsten Sohn, der Buchhändler ist, ein Exemplar vonGrete Minde welche Novelle diesen Herbst eine 2. Auflage erlebte, zur Post gegeben worden. In vorzüglicher Ergebenheit

Th. Fontane

Berlin 13. Januar 88.

Potsd. Str. 134.C.

Hochgeehrter Herr Professor.

Der Tod meines Sohnes, wovon ich Ihnen schrieb, verhinderte mir in den Wochen meine Antwort auf Ihre freundliche Zusendung 17 . Nachher war es ein andres, was mich am Schreiben hinderte. Ich konnte mich, bei den Schwierigkeiten, die mir das Sprachliche machte, in den Dich­tungen nicht recht zuerst finden und stand eben auf dem Punkt ein vlämisches Lexikon zu kaufen, als mir ein Herr anbot:er werde die Balladen in Prosa übersetzen lassen; er kenne jemand, der das sehr gut verstehe, und er freue sich diesem Sprachkundigen, einem armen Men­schen, eine Beschäftigung geben zu können. Und danach wurde dann auch verfahren. Aber derSprachkundige war sehr säumig und erst in der Woche nach Weihnachten habe ich das kleine blaue Buch zurück erhalten und mit ihm die Prosa-Übersetzungen. An der Hand derselben, bin ich nun Ihre Balladen noch einmal durchgegangen. In einerDe Erfgenaam habe ich mich, trotz Übersetzung, nicht gut orientiren kön-

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