Heft 
(1972) 15
Seite
470
Einzelbild herunterladen

nen, was mir nicht blos am Sprachlichen, sondern am Stoff zu liegen scheint 18 . Von dem Clair-obscure, darin jede gute Ballade mehr oder weniger lebt, hat sie etwas zu viel, d. h. etwas zu viel obscure. Alle anderen finde ich, so weit ich es bei den verbleibenden Schwierigkeiten beurtheilen kann, ganz vorzüglich. Ihre Force besteht in der poetischen Situationsmalerei; ein Äußerliches oder Innerliches, das Sie besonders lockt, greifen Sie heraus und geben uns ein liebevoll ausgemaltes Bild, liebevoll ausgemalt trotz der relativen Kürze der Ausmalung, die die Ballade erheischt. Besonders sinnig und rührend istNoorderlicht, am glänzendsten aber erscheinen mir die beiden SchlußgedichteSeilt ende Vrint undDe Sporenslag, besonders das letztere, worin Sie den Ton des patriotischen Kriegs- und Siegesliedes meisterlich und mit einer ganz besonderen Frische getroffen haben 19 .

Mein sprachliches Unvermögen erschwert mir das Urtheil, trotzdem aber glaube ich, ohne Gefahr vor Irrthum, aussprechen zu dürfen, daß niemand in der germanischen Welt, existiert, auch in England und Skandinavien nicht, der den Ton der alten Volksballade so zu treffen wüßte, wie Sie. Sie haben es den vergangenen Jahrhunderten ganz und gar abgelauscht und können IhrenVan Eyck so wundervoll malen, daß er von einem wirklichen gar nicht zu unterscheiden ist. Ich bewundre das aufrichtig und in Ihrer Wissenschafts-Eigenschaft als Professor auch bedingungslos, aber in Ihrer Dichter-Eigenschaft doch nur bedingungsweis. Ich muß in dieser Beziehung bei dem bleiben, was ich mir schon in einem früheren Briefe auszusprechen erlaubte: die alten wundervollen Volksballaden und Volkslieder sollen uns Vorbild sein, wir sollen an Ihnen Ton und Weise lernen, aber wir sollen sie nicht pure nachahmen und nicht un­seren Hauptstolz darin setzen, es eben so gut machen zu können, wie die Volksdichter des 14. oder 15. Jahrhunderts. Alle bedeutenden Balladen­dichter des letzten Jahrhunderts wurzeln in der mittelalterlichen Volks­ballade, aber alle haben etwas Essentielles aus sich hinzugethan: Bürger, Goethe, Heine, die Romantiker, die schwäbische Schule (Uhland, Justinus Kerner, Mörike), Strachwitz, Blomberg, Hans Hopfen, ebenso in England: Southern, Wordsworth, Burns, Scott, Byron, letzterer wenigstens ver­einzelt in seinemAdieu, Adieu, my native shore das eine Nachbildung vonLord Maxwells Good Night ist. An jeder einzelnen Balladen­schöpfung der vorgenannten Dichter, könnte ich mit Leichtigkeit nach- weisen, wo die Dichtung in der Überlieferung steht und wo sie neu ist. DasNeue steht hinter dem Alten sehr oft zurück, trotzdem aber liegt in diesem Neuen, auch in dem verfehlten Neuen, der Fortschritt, die Weiterentwicklung. Ohne denselben frieren wir ein und sterben inmitten der vollkommensten Kunstübung ab.

Kennen Sie das famose Gedicht von Strachwitz:Das Herz von Douglas ? Eine Perle.

Morgen gebe ich noch eine zweite Novelle:Ellernklipp an Sie zur Post, ein Pendant zuGrete Minde und zur selben Zeit geschrieben. In vorzüglicher Ergebenheit.

Th. Fontane

Berlin 17. Dezemb. 89

Potsdamerstraße 134.C.

Hochgeehrter Herr Professor.

Der Empfang Ihrer Karte war mir eine große Freude. Ihrem gütigst darin ausgesprochenen Wunsche beeile ich mich nachzukommen.

Das Buch hat ein ganz andres Ansehn gewonnen, äußerlich gewiß, aber

470