Heft 
(1972) 15
Seite
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Fritz Paul (München)

Fontane und Ibsen

Die im Titel dieses Aufsatzes 1 angedeutete Beziehung zweier Autoren ist im Grunde genommen recht einseitig. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, ob Ibsen den Romancier Fontane überhaupt gekannt hat. Dessen Theaterrezensionen über Berliner Aufführungen seiner Stücke hat er aber wohl gelesen. Fontane hingegen hatte eine nachweisbareBezie­hung zu Ibsen, die er öffentlich (in Theaterkritiken) und privat (in seinen Briefen) in eigenartig ambivalenter Form zu dessen Werk unter­hielt. Da diese Beziehung, die sich als Ausdruck eines geistigen und geistvollen Verhältnisses in mancherlei Aufsätzen und Briefen Fontanes spiegelt, als Thema weder in der neueren Fontaneliteratur, noch im neuesten, dazu prädestinierten Werk der Ibsenliteratur 2 behandelt wird, soll ihm hier ein wenig nachgegangen werden.

Ein Distichon, das Fontane im Anschluß an eine Berliner Aufführung derFrau vom Meere (5. 3. 1889) niederschrieb, zeigt in seiner Mischung von Humor und Emst, Ironie und leichtem Sarkasmus bereits die Grundtendenz seines so charakteristisch ambivalenten Verhältnisses zu Ibsen:

Ellida leidet an Sehnsucht, an Sehnsucht nach Meer und nach Meer­mann.

Freiheit heilt sie. Es geht. Aber es geht mir zu flink. 3 Man muß schon die dazugehörige Theaterkritik vergleichen, um den Hintergrund und die Absicht dieser aphoristisch-ironischen Sentenz bes­ser verstehen zu können. Fontane hat zu dieser Aufführung drei (!) ausführliche Rezensionen geschrieben, die alle im März 1889 in der Vossischen Zeitung erschienen sind/ 1 Hier wird nun auch das ironische Es geht. Aber es geht mir zu flink näher erläutert:In dieser ,Frau vom Meere' ist das Tempo verfehlt, und wir müssen zuletzt statt eines Schrittes einen Sprung machen. Der Sprung geht in die rechte Richtung, und das ist dem Stück zum Heil und erleichtert seine Verteidigung. Aber daß es dieser Verteidigung bedarf, ja dieser Verteidigung auch wohl seitens der größten Ibsenverehrer bedürfen wird, das ist doch die Schwäche des Stückes. 5

Damit ist bereits die komplexe Zwiespältigkeit genau Umrissen, mit der Fontane er zählt sich selbst stets zu den Ibsen-Verehrern 6 sich immer wieder zum Werk des großen Norwegers äußert. Dem Angriff folgt fast stets die Verteidigung und umgekehrt, so auch dann in der dritten Rezension des kritisierten Stücks: DieFrau vom Meere sei vielleichtdas angreifbarste von Ibsens Stücken, aber vielleicht auch das genialste, das kühnste, und Fontane sieht mit ungemein sicherem Blick, daß Ibsen alsTerraineroberer der Dramatiker des Zukünftigen ist, und daß sich zugleich mit dem Beginn desmodernen Dramas auch die Kategorien des Menschlichen auf dem Theater nachdrücklich verändern werden. In unnachahmlichem Plaudertonpeilt dabei Fontane ver­schiedene Dimensionen undTiefenlotungen des Verständnisses an: Es hat Jahrhunderte ohne Ellidas gegeben, jetzt kommen die Jahr-

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