lise, 16 die je von der Bühne herab zu einem Publikum gesprochen hat... Was ich mal Schlenther gesagt habe: ,Nach dreißig Jahren (hoch gerechnet) ist Ibsen der Komik verfallen' — diesen Satz halte ich aufrecht. Daneben läuft eine ganz aufrichtige Bewunderung für das, was der Mann getan hat.“ 17
Hier hat sich Fontane, was die zukünftige Wertung betrifft, nachweislich geirrt; aber er revidiert sich schon zwei Monate später selbst, wieder in einem Brief an Stephany (vom 17. 5. 1898): „Ich bin Ibsen gegenüber fast ganz unverändert geblieben. In vorderster Reihe stehen doch Bewunderung und Dank, denn er ist ein großer Reformator unseres Bühnenwesens gewesen.“ 18 Ein Jahr zuvor hatte Fontane bereits in einem anderen Brief festgestellt, daß Ibsen, als „eine epochemachende Erscheinung“, auch in Zukunft eine Größe sein werde. 19
Wie sind diese widersprüchlichen Äußerungen von der künftigen Lächerlichkeit und Größe Ibsens hermeneutisch zu erfassen und in einen zeitgeschichtlichen Bezug auf der einen Seite, zum anderen aber auch in einen Bezug zum Fontane- und Ibsenverständnis zu bringen? Zum ersten: Größe und Lächerlichkeit schließen einander als Gegensätze nicht unbedingt aus. Trotzdem sind sie für Ibsen keine brauchbaren Alternativen, bzw. relevanten Polaritäten. Man kann sich diese Widersprüche also nur aus dem inneren Engagement Fontanes erklären, das gerade deshalb als äußerst intensiv angesehen werden muß, weil die Widersprüche und damit die Spannungen innerhalb seines Ibsenverständnisses so groß waren. Gerade aber durch die „dialektische“ Auseinandersetzung entsteht erst das fruchtbare Ergebnis, das wir ja tatsächlich unleugbar vor uns haben, und das keineswegs mehr nur in jenem Angezogen- und Abgestoßen-Sein besteht. Die Widersprüche sind bei solcher Betrachtung dann recht eigentlich nicht mehr relevant. Denn erst aus den Widersprüchen formt sich ein Kapitel Theater- bzw. Literaturgeschichte, das einen Bezug zu beiden Autoren hat.
Die bereits erwähnte Freie Bühne — Otto Brahm und Paul Schlenther gehörten zu ihren Gründern — war in erster Linie ein Theater der Avantgarde. Dazu rechnete man vor allem Ibsen und Hauptmann, aber auch Bjornson, Tolstoi und Kielland. Es war also nur folgerichtig, daß Fontane Vergleiche zwischen Ibsen und Hauptmann anstellte, wobei er den deutschen Naturalisten dem Norweger recht einseitig vorzog: „Er [Hauptmann!] erschien mir einfach als die Erfüllung Ibsens. Alles, was ich an Ibsen seit Jahr und Tag bewundert hatte, das ,Greift nur hinein ins volle Menschenleben', die Neuheit und Kühnheit der Probleme, die kunstvolle Schlichtheit der Sprache, die Gabe der Charakterisierung, dabei konsequenteste Durchführung der Handlung und Ausscheidung alles nicht zur Sache, Gehörigen — alles das fand ich bei Hauptmann wieder, und alles, was ich seit Jahr und Tag an Ibsen bekämpft hatte: das Spintisierige, das Mückenseigen, das Bestreben, das Zugespitzte noch immer spitzer zu machen, bis dann die Spitze zuletzt abbricht, dazu das Verlaufen ins Unbestimmte, das Orakeln und Rätselstellen, Rätsel, die zu lösen niemand trachtet, weil sie vorher schon langweilig geworden sind, 20 alle diese Fehler fand ich bei Gerhart Hauptmann nicht ,“ 12
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