Heft 
(1972) 15
Seite
512
Einzelbild herunterladen

nämlichdie Wahrheit und Ungeschminktheit in der Wiedergabe des Lebens, ... die pessimistische Weltanschauung. Der Zustimmung folgt jedoch sogleich eine Modifizierung des Urteils, ja eine Distanzierung: er stimme zwar sehrder Ibsenschen Gesamtanschauung jedoch nicht jedem Einzelparagraphen zu. DieWildente ist für Fontane von den Fehlem derGespenster frei:was hier gepredigt wird, ist echt und wahr bis auf das letzte Tüttelchen, und in dieser Echtheit und Wahrheit der Predigt liegt ihre geradezu hinreißende Gewalt. Am meisten imponiert ihm die Fähigkeit Ibsens,das Alltagsdasein in eine Beleuch­tung zu rücken, daß das, was eben noch Gleichgültigkeit und Prosa war, uns plötzlich mit dem bestrickendsten Zauber der Poesie berührt. Im zweiten Akt der .Wildente' sitzt die Ekdalsdie Familie am Tisch, Mann, Frau, Tochter, und die Frau rechnet eben ihr Wirtschaftsbuch zusammen: Brot 15, Speck 3, Käse 10, ja sgeht auf, und dabei brennt die kleine Lampe mit dem grünen Deckelschirm, und die Luft ist schwül, und das arme Kinderherz sehnt sich nach einem Lichtblick des Lebens, nach Lachen und Liebe ja, das packt und erschüttert das Herz trotz 10- Pfennig-Käse, und ein Jambentragödienschreiber, der aus Jugurtha und Catilina nie herausgekommen, er watet daneben umsonst durch Blut und Redensarten. 23

Man muß sich hier vielleicht auch das eigene dichterische Werk Fontanes vergegenwärtigen, um zu verstehen, warum ihn alles Pathetische so unangenehm berührt, und warum er immer wieder eine Lanze für das Alltägliche bricht. Dieschwierigen letzten Fragen sollen eben, wie es in der Wildentenbesprechung heißt,in der Schwebe bleiben, und Fontane hält den für wenig beneidenswert, für den sie abgeschlossen sind. Diese Haltung, die ja auch das Fundament zum Verhältnis zu Ibsen ist, findet sich in all seinen Romanen wieder, wobei der Humor (der bei Ibsen durch die gänzlich verschiedenen Kategorien von Ironie und Sarkasmus ersetzt wird) die Funktion eines Bindeglieds zwischen über­höhter und alltäglicher Welt hat. Man braucht sich beispielsweise nur an den Beginn vonMathilde Möhring, einem Werk aus dem Nachlaß Fontanes zu erinnern, wo man auf die genau gleiche Art von Realismus wie in der geschilderten Szene derWildente trifft, wobei jedoch der tiefe Emst (nie Pessimismus im Gegensatz zu Ibsen!) des Inhalts durch den Humor keineswegs gefährdet wird. Dieser Realismus des Details, des Alltäglichen, findet sich bei Fontane auf Schritt und Tritt, sei es in Irrungen Wirrungen oderElfi Briest, und genau wie bei Ibsen solche Passagen zum funktionalen Ablauf des Dramas gehören, gehören sie bei Fontane zur Funktion des Erzählens, und keineswegs nur zum Inhalt. Fontane begrüßt nun Ibsen als den Erneuerer, der diese Methode der Verbindung von Formal-Inhaltlichem auch im Drama anwendet und damit den Realismus auf die Bühne bringt. Daher ist Fontane allein schon die Beschäftigung mit dem Dramatiker Ibsenein ganz besondres Vergnügen, wie er drei Tage nach der oben erwähnten Aufführung an Georg Friedlaender schreibt:Haben Sie vielleicht gelesen, was ich, in der Montag Abendnummer der Vossin, über Ibsen und seine .Wildente' geschrieben habe? Solche Kritiken erquicken vielleicht keinen anderen,