dem deutschen Literaturforscher Zschalig solche Interpretationen zurückgewiesen: „Meine Absichten waren allzeit rein dichterisch, 30 argumentiert er ähnlich wie Fontane.
Wie sehr dieser hinter die Dinge sah, zeigt auch eine Rezension von Kiellands „Auf dem Heimweg“ (Aufführung vom 7. 4. 1890). Fontane geht hier der „Norwegerei“ 31 auf den Grund und wendet sich, wie schon oft bei Ibsen, gegen die „verschrobenen Tendenzen, die so viele norwegische Stücke kennzeichnen“, und er attestiert ihnen „beinah ausnahmslos etwas Geschraubtes“ und einen „grenzenlosen geistigen Hochmut, der aus all diesem Gehabe spricht“. 32 Man glaubt beinahe, Ibsen selbst zu hören, der seinen norwegischen Landsleuten immer wieder ähnliche Vorhaltungen machte: „Niemals habe ich mich fremder gefühlt gegenüber dem Thun und Treiben meiner norwegischen Landsleute als nach den Lektionen, die mir das vergangene Jahr erteilt hat. Niemals mehr abgestoßen. Niemals unbehaglicher berührt.“ 33 Audi die Klischees, die sich in die norwegische Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts eingeschlichen hatten, erkennt Fontane mit scharfem Blick: „der frömmelnde norwegische Pfarrer, der immer wieder an den Pranger der Lächerlichkeit gestellt wird, 34 ist nicht mehr auszuhalten.“ 35 Wie sehr Fontane feinere Qualitätsunterschiede zu registrieren wußte, beweisen dieser „Verriß“ des tatsächlich doch etwas schwachen Kiellandschen Einakters und die Kritik über Bjomsons „Ein Handschuh“ (Aufführung vom 15.12. 1889), in der er sich sehr positiv mit diesem Hauptwerk der norwet- gischen Literatur auseinandersetzt. 36
Am 20. September 1898 ist Fontane gestorben, so daß er Ibsens letztes Werk „Wenn wir Toten erwachen“ nicht mehr kennenlernen und sich dabei auch nicht erneut zur Ibsenfrage äußern konnte. So unakademisch und selbstverständlich er das gute zehn Jahre lang getan hatte, so intensiv und engagiert waren diese Äußerungen gewesen. Ein humorvoller Brief an Stephany zeigt, wie durch den Humor und die Selbstironie dieses Engagement schließlich sogar noch einen persönlichen Bezug erhält: „Neulich war Rittershaus bei mir, der das Pulver nicht erfunden hat. Aber eines war doch sehr gut. Er sagte: .Sehen Sie, dieser Ibsen. Man kann nicht drei Seiten lesen, ohne zu merken, daß er Apotheker war.“ Wie mir dabei zu Mute wurde, können Sie sich denken; im Hause des Gehenkten spricht man nicht vom Strick. 37 Aber trotz dieses Angstgefühls, trotzdem ich mir die Frage vorlegen mußte: ,Wie steht es denn mit dir? merkt man es auch? 1 , trotz alledem fand ich es vorzüglich. Überall der kleine, kluge, verrückte Apotheker, der sich, weltabgeschieden, in eine furchtbare Frage einbohrt... Alles verrückt und manches noch sehr unangenehm, wie z. B. in ,Rosmersholm‘, was, glaub ich, der kleine Brahms ganz besonders schön findet. Ich in meiner Eigenschaft als zwischen zwei Stühlen Sitzer bin schlimm dran. Keinem kann ich’s recht machen.“ 38 Die Ambivalenz der Meinung bleibt also, und das ist typisch für Fontane, bis ins Private bestehen, vielleicht gerade, weil er differenzieren will, wenn es um „Grundfragen“ geht; und darum geht es bei Ibsen doch immer!
Gerade in diesem dialektischen Spiel von Bejahung und Ablehnung und
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