Heft 
(1972) 15
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dem deutschen Literaturforscher Zschalig solche Interpretationen zurück­gewiesen:Meine Absichten waren allzeit rein dichterisch, 30 argumentiert er ähnlich wie Fontane.

Wie sehr dieser hinter die Dinge sah, zeigt auch eine Rezension von KiellandsAuf dem Heimweg (Aufführung vom 7. 4. 1890). Fontane geht hier derNorwegerei 31 auf den Grund und wendet sich, wie schon oft bei Ibsen, gegen dieverschrobenen Tendenzen, die so viele norwegische Stücke kennzeichnen, und er attestiert ihnenbeinah ausnahmslos etwas Geschraubtes und einengrenzenlosen geistigen Hochmut, der aus all diesem Gehabe spricht. 32 Man glaubt beinahe, Ibsen selbst zu hören, der seinen norwegischen Landsleuten immer wieder ähnliche Vorhal­tungen machte:Niemals habe ich mich fremder gefühlt gegenüber dem Thun und Treiben meiner norwegischen Landsleute als nach den Lektionen, die mir das vergangene Jahr erteilt hat. Niemals mehr ab­gestoßen. Niemals unbehaglicher berührt. 33 Audi die Klischees, die sich in die norwegische Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein­geschlichen hatten, erkennt Fontane mit scharfem Blick:der frömmelnde norwegische Pfarrer, der immer wieder an den Pranger der Lächer­lichkeit gestellt wird, 34 ist nicht mehr auszuhalten. 35 Wie sehr Fontane feinere Qualitätsunterschiede zu registrieren wußte, beweisen dieser Verriß des tatsächlich doch etwas schwachen Kiellandschen Einakters und die Kritik über BjomsonsEin Handschuh (Aufführung vom 15.12. 1889), in der er sich sehr positiv mit diesem Hauptwerk der norwet- gischen Literatur auseinandersetzt. 36

Am 20. September 1898 ist Fontane gestorben, so daß er Ibsens letztes WerkWenn wir Toten erwachen nicht mehr kennenlernen und sich dabei auch nicht erneut zur Ibsenfrage äußern konnte. So unakademisch und selbstverständlich er das gute zehn Jahre lang getan hatte, so intensiv und engagiert waren diese Äußerungen gewesen. Ein humor­voller Brief an Stephany zeigt, wie durch den Humor und die Selbst­ironie dieses Engagement schließlich sogar noch einen persönlichen Bezug erhält:Neulich war Rittershaus bei mir, der das Pulver nicht erfunden hat. Aber eines war doch sehr gut. Er sagte: .Sehen Sie, dieser Ibsen. Man kann nicht drei Seiten lesen, ohne zu merken, daß er Apotheker war. Wie mir dabei zu Mute wurde, können Sie sich denken; im Hause des Gehenkten spricht man nicht vom Strick. 37 Aber trotz dieses Angstgefühls, trotzdem ich mir die Frage vorlegen mußte: ,Wie steht es denn mit dir? merkt man es auch? 1 , trotz alledem fand ich es vorzüglich. Überall der kleine, kluge, verrückte Apotheker, der sich, weltabgeschieden, in eine furchtbare Frage einbohrt... Alles verrückt und manches noch sehr unangenehm, wie z. B. in ,Rosmersholm, was, glaub ich, der kleine Brahms ganz besonders schön findet. Ich in meiner Eigenschaft als zwischen zwei Stühlen Sitzer bin schlimm dran. Keinem kann ichs recht machen. 38 Die Ambivalenz der Meinung bleibt also, und das ist typisch für Fontane, bis ins Private bestehen, vielleicht gerade, weil er differenzieren will, wenn es umGrundfragen geht; und darum geht es bei Ibsen doch immer!

Gerade in diesem dialektischen Spiel von Bejahung und Ablehnung und

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