Heft 
(1972) 15
Seite
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so ruhmvollen und nützlichen Leben plötzlich zum Verbrecher? Ob er dies nicht vielleicht auch vorher war; ob es sich tatsächlich um denselben James Hudson handelt, den Fontane kannte, sind Fragen, die wir wahrscheinlich nie befriedigend beantworten können. Daß es derselbe James Hudson war, scheinen Name, Anschrift und Alter hinreichend zu beweisen. Sein Charakter jedoch will nicht zu den Andeutungen Fontanes passen. Man ist fast geneigt, an eine charakterliche Doppel­existenz, anDr. Jekyll und Mr. Hyde zu denken.

Anmerkungen

1 Reuter, Hans-Heinrich: Fontane. München 1969. S. 267.

2 Fontanes Briefe in zwei Bänden. Hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler 1968. Bd. 1. S. 109.

3 Fontane, Theodor: Aus England und Schottland. Unter Mitwirkung von Kurt

Schreinert herausgegeben von Charlotte Jolles. München 1963. S. 542.

Auf den Spuren des Leopold Treibei

Ungedruckter Nachlaß Theodor Fontanes. Vermutlich an Frau Anna Witte, Rostock und wahrscheinlich aus 1883 (Juni oder August). Nach dem Konzept im Reisetagebuch von 1883. (Fontanearchiv Ca 409.) Hochverehrte Frau, teuerste Freundin. Meine letzte literarische Tat hier sollen diese Zeilen an Sie, hochverehrte Freundin, sein, in denen ich Ihnen, eine von unserm kleinen Standpunkt aus angesehen, allerwichtigste Frage vorlegen und Ihr Urteil, Ihren Rat erbitten möchte.

Natürlich handelt es sich um Martha, und beinah ebenso natürlich um den nebelhaft und unfaßbar am Horizont ziehenden Bräutigam in spe oder noch nicht in spe: Rudolf Schreiner.

Sie begreifen, daß uns diese Frage seit lange beschäftigt, und seit dem unglücklichen Examen-Ausgange geradezu Sorge macht. Was wir in Bezug auf das Examen, so oder so, und als eine natürliche Konsequenz desselben erwarteten, war das folgende: 3 oder 8 Tage nach glücklich bestandenem Examen wird er kommen und um Martha anhalten; miß­glückt aber sein Examen, so wird er freilich nicht um sie anhalten, wird aber irgendwelche Schritte tun, um sichim Stillen ihrer zu versichern. Daß das erstere nicht geschehen ist, weil es nicht geschehen konnte, wissen wir. Aber wie steht es nun mit dem zweiten? Hat ein solches sichim Stillen ihrer versichern stattgefunden, jetzt oder vielleicht auch früher schon? Darauf kommt es uns an! Dies möchten wir gern erfahren. Hat es stattgefunden, aber auch wirklich, und zwar in klaren, baren Worten, d. h. also stattgefunden über den berühmten Händedruck, Korridorkuß und Fußspitzengruß hinaus (die samt und sonders in meinen Augen gar nichts bedeuten), so haben wir Eltern in dieser Sache weiter nichts zu sagen. Denn wir haben durchaus nichts gegen stille Verlobungen, auch nichts gegen jahrelanges Warten. Wir selber haben jahrelang gewartet.

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