Heft 
(1973) 16
Seite
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die Lupe nimmt, ausrufen: Fontane sagtdoch selbst mit jenem löblichen Mißtrauen in seine Weisheit, die [soll wohl heißen: das. J. K.] den wahr­haft weisen Mann auszeichnet, daß sein vorgeschlagenes Mittel der Änderung zum Bessern .Verstaatlichung, Eichung, aufgeklebter Zettel, vielleicht schlimmer sei als der gegenwärtige Zustand 1 , und fährt dann fort: .Aber dann müssen wir uns getrosten und es lassen, wie es ist ! 1 15

Was die Armut vieler Schriftsteller anbetrifft, so sucht Spielhagen sie z. T. zu relativieren mit dem Hinweis, daß es in denNachbarprovinzen der Literatur nicht besser stehe. Zum anderen beruft er sich in zwei­facher Hinsicht auf den besonderen Charakter der Literatur. Es sei, gibt er zu, möglich, daß in der Schriftstellerwelt, verglichen mit dem Bereich der bildenden Kunst und der Musik, das Elend am größten ist,weil dem Hereinfluten gänzlich Unfähiger hier gar keine Schranke hemmend ent­gegensteht, während in den andern Künsten irgendein Nachweis tech­nischer Begabung oder doch technischen Könnens geliefert werden muß . Mit anderen Worten, mancher Unberufene versucht sich als Dichter, kommt nur kümmerlich voran oder scheitert gar. Daß dieser Art von freier Konkurrenz keine Schranken gesetzt sind, bemängelt er so wenig, wie er sich damit abfindet, daß von der leichteren Genießbarkeit und dem daraus resultierenden höheren Marktpreis die positivere gesell­schaftliche Bewertung eines Kunstwerks abhängt:Wahr ist endlich, daß reale Männer der Feder in bedauerlich abhängigen und ökonomisch kläglichen Verhältnissen leben. Aber, lieber Himmel, neigt sich denn nur auf diesem Gebiete in dem Kampf ums Dasein die Waagschale zugunsten des Kapitals? Ist der Marktpreis für die bequemen Genüsse, welche Malerei und Musik bieten, nicht immer höher gewesen als für die mit so viel mehr Geistesaufwand zu erlangenden der Dichtkunst ? 17

Ohne es näher auszuführen, schränkt er schließlich Fontanes Feststel­lung, daß Schriftstellereinicht als Kunst betrachtet werde 18 und daß die reservierte Haltung der Gesellschaft gegenüber den Schriftstellern an einem gewissen Detektiv-Charakter des Metiers, an einer gewissen Furcht des Publikums vor Indiskretionen liege 19 , aufunsre moderne Literatur (speziell den Roman) ein. Der angefügte Hinweis auf Zola zeigt, daß Spielhagen den Naturalismus meint 20 .

Diese Antwort Spielhagens läßt Fontanes Aufsatz in einem schärferen Lichte erscheinen. Spielhagen vertritt konsequent den bürgerlichen Klas­senstandpunkt; seine Bemerkungen über den Kultusminister, in dessen Besoldungslisten er nicht figurieren möchte, können sogar als leichte Kritik an den feudalen Elementen im preußisch-deutschen Staat ver­standen werden. Doch vermag Spielhagen diesen Klassenstandpunkt nicht zu überschreiten. Er findet sich mit den gegebenen Verhältnissen nicht nur ab, er versucht sie zu rechtfertigen, obgleich er ihre Mängel erkennt. Fontane dagegen zeigt sich in seinem Aufsatz nicht bereit, sich mit den Verhältnissen, so wie sie sind, zufrieden zu geben, ge­schweige denn sie zu verteidigen. Vielmehr verhält er sich ohne Ein­schränkung kritisch. Dadurch bleibt ihm, zumindest prinzipiell, die Möglichkeit offen, über die bürgerliche Klassenposition hinauszugehen.

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