Heft 
(1974) 18
Seite
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wird vom Amt suspendiert; ein Disziplinarhof soll über seine Schuld entscheiden. Monat auf Monat vergeht, der Mann verzehrt sich in Gram, Sorge, Ungewißheit und verletztem Ehrgefühl. Endlich ist der Tag der Entscheidung da, aber der sonst so lebensfrische Mann ist bis aufs äußerste gemütskrank geworden, und anstatt vor Gericht zu erscheinen und seine Freisprechung in Empfang zu nehmen, geht er vors Tor und erschießt sich.

Eine Fülle ziemlich abweichender Urteile wurde zunächst über das Ganze und den Kern der Sache laut. Die Debatte knüpfte zunächst daran an, ob es eine tragische oder traurige Geschichte sei. Lessing und Anacreon erklärten sich für das letztere, aber mit dem Unterschiede, daß Lessing diese ganze Gattung der Literatur inclusive Hebbel und Otto Ludwig verwarf, Anacreon hingegen, eben gestützt auf Hebbelsche und auch wohl andre Anschauungen, die Berechtigung dieses Literaturzweiges zugegeben wissen wollte. Unter denen, die ein tragisches Geschick in dem Leben und Sterben Wallroths erkennen wollten, standen Immermann und Clau­dius obenan; während jener aber in dem Nehmen der 100 [Reichstalerj die Schuld des Mannes wie klein sie immer sein möge und in dem Angezweifeltsein seiner Ehrenhaftigkeit den Beginn seiner Strafe er­kannte, ging Claudius von diesem fraglichen oder doch geringfügigen Unrecht des Wallroth völlig ab und sah in seinem tragischen Ausgang nicht die Nemesis einer begangenen Schuld, sondern vielmehr den Tri­umph einer feindlichen, finstern Macht, den Sieg anschwärzender Gemein­heit über loyale Rechtschaffenheit, das endliche Ziel einer schändlichen Intrige. Wie vereinzelt Claudius auch mit dieser Anschauung stehen mochte, so regte er doch die Frage dadurch an: Woran geht Wallroth eigentlich zugrunde? eine Frage, die nun beganfi, der Debatte eine andre Wendung zu geben. Die Antworten lauteten verschieden. Während einige bei ihrer schon abgegebenen Auffassung blieben, daß die Wurzel alles Übels der als Belohnung, gleichsam wie eine nachträgliche Be­stechung hingenommene 100-[Reichstaler]-Schein sei, glaubte Fouque die erste und letzte Ursach dieses tragischen Ausgangs in der Religionslosig­keit des Mannes, Metastasio anknüpfend an diesen Ausspruch und ihn erweiternd, in den Klügeleien einer schief [?] angelegten Natur, die statt der wahren sittlichen Grundlagen nur eine falsche, selbst zurecht gezim­merte Basis gehabt habe, finden zu müssen.

Die Vorzüge der Darstellung wurden die Breite des 2. Abschnitts ab­gerechnet fast einstimmig anerkannt und nur von Lafontaine auf ein gut Teil Geschmacklosigkeit hingewiesen, z. B. auf den Brenzei [?], der als eine mit Liebe und Treue geheizte Lokomotive nach Köpenick fährt die zu verwinden jenseits seiner Lust und Fähigkeit liege. Endurteilgut mit einer Hinneigung zusehr gut.

Eiserner Fonds: 23 Sgr. 9 Pfg.

Lafontaine

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