Heft 
(1974) 19
Seite
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aber wenn mein Respekt vor solchem Tun auch noch größer wäre, als er ist, ich kann mich nicht damit befreunden, weil ich einfach nicht folgen kann. Meiner Natur fehlt jedes Organ dafür. Daß man aus der alten Fahrstraße herauswill, ist gut, aber dem Einbiegen gerade auf diese Waldpfade kann ich nicht zustimmen. 1

In diesen, um Gerechtigkeit bemühten, aber doch kühl ablehnenden Zeilen, die Fontane am 22. März 1896 an Hans Eberhard Freiherr v. Bodenhausen richtete, haben wir sein Urteil über Dehmel, das er, soweit unsere Kenntnis reicht, nicht mehr wesentlich modifiziert hat. 2 Niemand, der die Künstlerpersönlichkeiten Fontanes und Dehmels einmal auf sich hat wirken lassen, wird überrascht sein; beide Dichter scheinen in der Tat so verschieden, daß Fontanes Verdikt über Dehmels frühe Dichtun­gen:Meiner Natur fehlt jedes Organ dafür, als angemessener Ausdruck dieser Verschiedenheit betrachtet werden muß. Es ist bekannt, wie auf­geschlossen der alte Fontane für die Hervorbringung junger Künstler war; er hat es wiederholt unter Beweis gestellt. Von den Werken Dehmels aber hat er sich, so deutlich wie es die Umstände zuließen, distanziert, entsprechend der Forderung, die er vor allem an den Kritiker stellte, klar zu sagen, was er meine, eine Pflicht, die er noch über die Freude des herzlichen Lobenkönnens stellte, die für ihn ebenfalls zum Beruf des Kritikers gehört hat. 3 Es ist nicht uninteressant, Fontanes ebenso knappes wie prägnantes Urteil mit den Äußerungen anderer Schriftsteller über Dehmel zu vergleichen, etwa mit denen Thonlas Manns, die zwischen Bewunderung eineswundervollen, meiner tiefsten Überzeugung nach unsterblichen Werkes (gemeint ist Dehmels Rhap­sodieDie Verwandlungen der Venus, erschienen 1907) und ironischem Kopfschütteln über denKriegsmann Dehmel,der sogar die deutschen Pferde besang, etwas undeutlich schwanken. 4

Sehr viel positiver als Fontane über Dehmel hat offenbar Dehmel über Fontane geurteilt, was sich freilich nur mittelbar erschließen läßt, da direkte Zeugnisse verlorengegangen oder unbekannt geblieben sind. Vor allem sind die Briefe Dehmels an Fontane nicht mehr vorhanden. 5 Immerhin können wir Fontanes Brief an Dehmel vom 2. August 1893 entnehmen, daß dieser es war, der mit einerliebenswürdigen und schmeichelhaften Widmung die Verbindung angeknüpft hatte. Vor allem aber ist uns in einem Brief Thomas Manns an Henry H. H. Remak vom 7. Februar 1951 eine bemerkenswerte Äußerung Dehmels über­liefert, die für das künstlerische Selbstverständnis Thomas Manns wichtig gewesen ist und insofern auch in der Wirkungsgeschichte Fontanes Epoche gemacht hat:Daß ich jedes gute Wort, das über Fontane geschrieben wird, mit Anteil lese, brauche ich nicht zu sagen. Mein eigener Versuch über ihn ist, glaube ich, noch immer das Beste, was ich kritisch zustande gebracht habe, und oft im Leben habe ich daran gedacht, daß Richard Dehmel mir als ganz jungem Menschen meine Fontane-Schülerschaft auf den Kopf zusagte und mir prophezeite, ihn liebefid, würde ich ihn überwachsen. Nun, ich glaube nicht, daß ich je etwas wie Pastor

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