Realismus Fontanes in dem Maße triumphierte, in dem sich der Dichter von den herrschenden Klassen distanzierte. 1894 schrieb Fontane an seine Tochter: „Ich werde immer demokratischer“. Im Hinblick auf das wilhelminische Deutschland, das auf den ersten Weltkrieg zusteuerte, stellte Fontane fest: „Das aber, womit am ehesten, weil unerträglich geworden, gebrochen werden muß, ist der Militarismus.“ Fontanes aus tiefstem Verantwortungsgefühl geschriebene Worte, „je großartiger der Vernichtungsapparat, desto größer die Verantwortung und Sorge“, haben für die Menschheit im Atomzeitalter höchst aktuelle Bedeutung behalten.
3. Frage: Ja, diese Forschungsergebnisse in der DDR sind ganz bestimmt von großem Wert, und auch bei uns deutet sich ja eine Entwicklung an, Fontane in ähnlicher Weise zu sehen. Erfreulicherweise erlebt er ja eine ganz große Renaissance. Er ist jetzt eigentlich der Dichter, der deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts. Welche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der Fontaneforscher in beiden deutschen Staaten würden Sie sehen?
Antwort: Herr Dr. Venohr, ich glaube, Ihre Frage ist zu eng begrenzt. In den letzten zwei Jahrzehnten, das deuteten Sie ja schon an, ist die Fontaneforschung Gegenstand der internationalen Germanistik geworden. Ohne eine internationale Zusammenarbeit ist unseres Erachtens Fontanes Werk gar nicht zu erschließen. Wie unsere Gästebucheintragungen beweisen, reicht heute die Fontaneforschung von Moskau bis Tokio, von Warschau bis New York. Sicherlich hat die Fontaneforschung in beiden deutschen Staaten, wenn auch inhaltlich mit unterschiedlichen Aspekten, ein besonderes Gewicht. Sie wird aber auch ebenso intensiv in der Sowjetunion, in Frankreich, bedingt durch Fontanes französische Abstammung, und im angelsächsischen Sprachgebiet — der Dichter weilte bekanntlich mehrere Jahre in England — betrieben. So haben beispielsweise 1973 Studenten und Doktoranden aus zehn Ländern das Fontane- Archiv benutzt, darunter auch junge Forscher(rinnen) aus der Bundesrepublik Deutschland. So gesehen ist und bleibt, wie in unserem Gästebuch zu lesen ist, Potsdam das Mekka der internationalen Fontaneforschung.
Nach der Sendung erreichte uns der Briet eines westdeutschen Germanisten und Benutzers des Fontane-Archivs, aus dem wir zitieren: „Die Ausstrahlung des Berichtes über Potsdam am 4. März war für uns alle wohl eine herbe Enttäuschung. Hätte doch gerade Fontane und die Pflege seines Erbes deutlich machen können, daß die uns heute fatal erscheinende Konsequenz preußischer Tradition schon früh erkannt und einer scharfen Kritik unterzogen worden ist. Aber ähnlich wie schon damals mußte Fontane hinter den Burggrafen von Nürnberg zurückstehen. Das tote Reiterstandbild eines absoluten Herrschers erregt mehr Aufmerksamkeit als das lebendige Erbe eines Demokraten. Gerade dies zeigt aber auch die Notwendigkeit unserer Arbeit.“