Heft 
(1974) 20
Seite
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Es ist aber auch klar, daß die geforderte Veränderung nach Fontanes Auffassung nur im Bereich der Ideologie abspielen soll und lediglich eine Sache der individuellen Erkenntnis wäre. Eingesunder Gedanke soll einenkranken verdrängen. Nach Fontanes Meinung wäre es nur nötig, den Menschen recht deutlich vor Augen zu führen, daß eben im Kleinen und Alltäglichen die wahreDaseinsbefriedigung liegt, und schon müßte sich ein neues Bewußtsein herausbilden, das die Grundlage neuer Verhältnisse (goldenes Zeitalter!) abzugeben hätte.

Das ist ein aufklärerischer Erziehungsoptimismus, der theoretisch respek­tabel, aber praktisch wirkungslos bleibt. Fontane versucht, einen utopi­schen Weg zu beschreiten, der nicht zum Ziel führen kann. Denn es ist eben nichtwahr, daß sichjeder gesunde Gedanke so ohne weiteres, d. h. ohne praktisches kollektives Handeln,zur Wirklichkeit durch­ringt. Darum hatte die Sozialdemokratie durchaus keine Veranlassung, dieBude zuzumachen.

Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Denn es war wohl kein glücklicher Griff, ausgerechnet den Hagedornsdien Seifensieder als Leit­bild einer neuen Gesellschaft hinzustellen. Ist er doch weder einLite­ratur- noch einLebensschatz und schon gar kein Weisheitsschatz, sondern vorrangig dazu da, kleinbürgerliche Genügsamkeit zu verherr­lichen, mit dem Ziel, soziale Konflikte zu entschärfen und Klassenkämp­fen aus dem Wege zu gehen.

Denn obgleich der Moral, die das Gedicht vermittelt, ein berechtigter Kern nicht abgesprochen werden kann, nämlich insofern es vor einer unangemessenen Überschätzung materieller Güter warnt, so wirkt es doch objektiv als Aufforderung an den kleinen Mann, sich mit dem ihm zuteil gewordenen Los zufrieden zu geben, da eine Existenz selbst an der Grenze des Mangels letzten Endes sogar besser und angenehmer sei als Reichtum. Denn Reichtum schaffe Sorgen. Zwar mochte eine solche Ermahnung zur Genügsamkeit bis zu einem gewissen Grade ihre Recht­fertigung in der tatsächlichen ökonomischen Lage der deutschen Klein­bürgertums in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden, doch die Hagedomsche Aufforderung war nicht übertragbar auf die Verhältnisse, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschten. Inzwischen hatten die Bezwingung und Aneignung der Natur durch den Menschen ungeahnte Fortschritte gemacht, so daß sich die Grenzen der berechtigten Ansprüche bedeutend ausgeweitet hatten.

Davon abgesehen ,war jedoch Hagedorns Appell schon unter den Bedin­gungen des frühen 18. Jahrhunderts ökonomisch und politisch regressiv, weil er eine Aufforderung zur Passivität enthielt.

Fontane scheint diese Widersprüche entweder gar nicht oder doch erst bei der Arbeit an dem Entwurf bemerkt zu haben. Aber es mag dem Dichter klar geworden sein, daß er zwar anfangs behauptet, kein Idyllist zu sein, daß aber das zweite Beispiel, das er am Schluß bringt (die beiden anderen sind zu wenig bzw. gar nicht ausgeführt) mindestens idyllische Züge trägt und keineswegs Verhältnisse darstellt, die für das

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