späte 19. Jahrhundert typisch gewesen wären oder gar in die Zukunft wiesen. Indem er seine Vorstellung vom Wesen des Glücks exemplifizierte, widersprach Fontane sich selbst. Denn er fand das „Glück des Kleinen“ in Zuständen, die zwar noch Vorkommen mochten, aber in dieser idyllischen Ausprägung doch nur vereinzelt und am Rande dessen anzutreffen waren, was man die gesellschaftliche Wirklichkeit nennt. Man darf annehmen, daß diese Widersprüche in Fontanes Konzeption vom Glück und seiner Realisierung den Dichter veranlaßt haben, den Entwurf liegen zu lassen und ihn nur als Versuch einer Selbstverständigung zu betrachten.
2. Fontane und Nietzsche
Bereits 1938 hat Israel S. Stamm in seinem Aufsatz „Goethe — Nietzsche — Fontane“ a) , natürlich nach dem damaligen Stand der Fontane-Forschung und zudem von einem bürgerlich-liberalen, agnostizistischen Standpunkt aus, auf die Unvereinbarkeit der Lebensauffassungen Fontanes mit denen Nietzsches hingewiesen und dabei die Lebensverbundenheit und den Humanismus Fontanes betont. Doch erst Hans-Heinrich Reuter konnte, gestützt auf die großen Fortschritte, die die Fontane-Forschung seitdem gemacht hat, eine ausreichend begründete Analyse des Verhältnisses Fontanes zu Nietzsche bieten 21 . Danach hat Fontane den „destruktiven und antirationalen Zynismus, der sich hinter Nietzsches aggressiven Forderungen verbarg“, zunächst nicht durchschaut, darum Nietzsches Losung von der „Umwertung“ vorübergehend aufgegriffen, aber in einem nicht metaphysischen, sondern höchst realistischen Sinne verwandt, wie aus verschiedenen Briefen aus den Jahren 1895 bis 1897 hervorgeht. Doch erfolgte bald danach in „Der Stechlin“ (Kapitel 9 und 33) eine deutliche Abwendung sowohl von Nietzsches „Umwertung aller Werte“ wie auch von seinem „Übermenschen“.
Wir möchten in diesem Zusammenhang noch auf folgendes aufmerksam machen:
Wenn sich Fontane zeitweilig des von Nietzsche stammenden Postulats der „Umwertung“ bedient, ohne zu erkennen, wie unvereinbar Nietzsches aritihumane Metaphysik mit dem humanen Realismus war, den er selbst vertrat, so muß man dabei berücksichtigen, daß es nicht allein Fontane so ging. Auch namhafte deutsche Naturalisten, wie etwa Arno Holz und Michael Georg Conrad, meinten, sich auf Nietzsche berufen zu können, da ihnen Nietzsches skeptische Kulturkritik und sein Immoralismus imponierten, der ein scheinbar nützliches Kampfmittel gegen Philistermoral abgab 22 .
Eine solche Berufung auf Nietzsche wurde durch äußere Umstände gefördert. So wenig Beachtung Nietzsche vor 1889 gefunden hatte, so sehr setzte „in dem selben Jahr 1889, in dem der Geist Friedrich Nietzsches in Wahnsinn zusammenbrach“, die öffentliche Beschäftigung mit seiner Philosophie ein. „Jetzt begannen die Zeitschriften, nähere Auskunft über die Absichten des lebendigen Toten zu geben, und jene Flut von
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