Heft 
(1974) 20
Seite
249
Einzelbild herunterladen

rückte Fontane damit in die Nähe jener ihm befreundeten bzw. bekann­ten Schriftsteller, die Nietzsches ethischen Nihilismus und seine Meta­physik des Übermenschen kritisierten. Bereits 1893 hatte der schweize­rische Schriftsteller Joseph Viktor Widmann, mit dem Fontane gelegent­lich korrespondiert hat, in seinem SchauspielJenseits von Gut und Böse gegen Nietzsches Nihilismus Stellung genommen. (Über die Erst­aufführung am 9. 11. 1893 im Berliner Theater berichtete Paul Schlenther am 10. 11. 1893 in derVossischen Zeitung.) Einige Jahre später haben dann Paul Heyse in seinem RomanUber allen Gipfeln (1895) 31 und Friedrich Spielhagen in der NovelleFaustulus (1898) Nietzsches Lehre vom Übermenschen ad absurdum zu führen versucht. Von dem Schau­spiel Widmanns dürfte Fontane als eifriger Leser derVossischen Zei­tung zumindest erfahren haben. Daß er die beiden Werke von Heyse und Spielhagen gekannt oder noch kennen gelernt hat, läßt sich nicht erweisen.

Da nun Fontane inJohann der muntre Seifensieder beinahe als ein begeisterter Anhänger Nietzsches auftritt (er könnte, ruft er aus, Nietzschedie Hände dafür küssen, daß Nietzsche das WortUmwer­tung erfunden habe), sich also noch ganz unkritisch verhält, so dürfte der Entwurf in die Anfangsphase von Fontanes erneuter Beschäftigung mit Nietzsche fallen. Diese Anfangsphase ist für uns in den Briefen von 1895 greifbar. So schreibt Fontane z. B. am 31. 8. 1895 an Karl Zöllner: Das Wort von einer immer notwendiger werdenden .Umwertung aller unsrer Vorstellungen ist das Bedeutendste, was Nietzsche ausgesprochen hat 32 . Wir nehmen daher an und das Schriftbild unterstützt diese Annahme, daß der EntwurfJohann der muntre Seifensieder etwa 1895 niedergeschrieben worden ist, jedenfalls noch vor Abschluß der Arbeit anDer Stechlin, d. h. vor Mitte 1897. Doch läßt sich diese Datierung nicht bündig beweisen. Fest steht allerdings, daß der Ent­wurf nicht vor August 1884 entstanden sein kann, d. h. nicht vor dem ersten Aufenthalt Fontanes in Krummhübel 33 .

3. Isolierung und Egoismus

Der zweite,Du selbst! betitelte Entwurf mutet an wie ein Seitenstück und zugleich eine Korrektur zuJohann der muntre Seifensieder. Von dem utopischen Versuch, eine neue, auf freiwilliger Selbstbeschränkung basierende Gesellschaft zu schaffen, ist hier allerdings keine Rede mehr. Statt dessen werden die Folgen beschrieben, die sich aus dem Tanz um diegoldnen Kälber und dem damit unweigerlich verbundenen Kampf aller gegen alle ergeben. Fontane analysiert die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit und kommt zu dem Schluß, daß dem Einzelnen in dieser Gesellschaft, wenn er nicht über eine alles besiegende Liebe verfügt, nur zwei Möglichkeiten bleiben: sich entweder zu unterwerfen und sich auf ein Durchschnittsmaß nivellieren zu lassen oder sich zu behaupten und sich damit zu isolieren, sich auf sich selbst zurückzuziehen. Daraus entspringt notwendig das, was Fontane Egoismus nennt. Doch dieser