Theodor Fontane jr. (*1856—1933)
Beziehungen zu meinem Vater *)
Dieser Abschnitt meiner Erinnerungen müßte eigentlich zu ihrem Glanzstück werden, weil er durch seinen Stoff begreiflicherweise sowohl für mich selbst als auch für meine Familie der weitaus interessanteste ist. Aus diesem Gefühl heraus habe ich mich nicht wie sonst frisch und unbefangen an die Niederschrift begeben und mich auch bei der endgültigen Fassung nicht auf Vornahme unwesentlicher Änderungen beschränken wollen, vielmehr versuchte ich, mir eine Gliederung zurecht zu legen, auf deren Basis ich verschiedene Ansätze zum Geistesflug wagte. Es wurde aber nichts daraus und konnte es auch nicht werden. Denn abgesehen davon, daß damit dieser Abschnitt dann zu sehr aus dem Rahmen des harmlosen Ganzen herausfallen würde, bin leider grade ich für solch ein Unterfangen, mit dem man Staat machen könnte, von den Kindern Theodor Fontanes das ungeeignetste. Meiner Schwester wäre eine derartige Aufgabe ohne Zweifel gelungen, aber auch mein Bruder Friedei würde wohl imstande sein, ein leidlich abgerundetes Bild unseres Vaters zu gestalten.
Mir dagegen fehlt es an den nötigen Unterlagen dazu, weil ich schon mit 14 Jahren aus dem Elternhaus schied und von da ab dort gewissermaßen nur Gastrollen gegeben habe. Ich erhielt also immer nur kurze, meist vorübergehende Eindrücke, noch dazu grade in den Jahrzehnten, in denen mein Papa nicht mehr bei der Kreuzzeitung fronte und überhaupt seinen inzwischen verständiger gewordenen Kindern nicht mehr wie ein Phoebus hinter den Wolken erschien, der uns anstelle einer festumrissenen Persönlichkeit mehr nur ein bloßer Begriff war und uns fast als Störenfried unserer kindlichen Ausgelassenheit galt.
Unter solchen, gegen meine Eignung sprechenden Umständen lag es nahe, diesen Abschnitt leider ungeschrieben zu lassen, wenn mich nicht folgendes Erlebnis ungestimmt hätte. Ende April 1899, also ein gutes halbes Jahr nach Papas Tod, traf ich mit meiner Mutter in Karlsbad zusammen, meinerseits, um etwas auszuspannen, vornehmilch aber, um Mama über grüblerische Erinnerungen hinwegzuhelfen, die dieser Kurort in ihr erwecken mußte, den sie öfter mit ihrem Mann besucht hatte. Es waren recht stille, aber anheimelnde zehn Tage, die mir deshalb in ganz besonders liebem Gedächtnis sind, weil sie beim Abschied mit den mich hocherfreuenden Worten endeten: „Ich danke Dir für diese Zeit, in der ich Dich durch den täglichen engen Verkehr so kennengelernt habe, wie Du eigentlich bist. Von Deinem innersten Wesen hatte ich mir bisher kein rechtes Bild machen können und verstehe jetzt und erkenne aus anderem Gesichtswinkel berechtigt an, was mir bei Dir manchmal unbegreiflich vorgekommen ist. Zu meiner Freude habe ich sogar feststellen dürfen, daß Du im Wesen, in Empfiundngen und Anschauungen Deinem Vater viel ähnlicher bist, als ich dies je für möglich gehalten habe.“
•) Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Frau Ursula von Förster, einer Urenkelin des Dichters.