erwähnt, aus denen die Neigung für König- und Junkertum spricht.)*) Ähnliche Widersprüche zeigen sich auch in meines Vaters Stellungnahme zum Antisemitismus und andere Kardinalfragen, in denen sich die meisten Menschen doch eine feste unverrückbare Meinung gebildet haben. Er war eben, trotz und wegen seines starken Gefühls für die Wahrheit, ein „unsicherer Kantonist“, wie er sich gelegentlich selber nannte. Aber noch eine andere Variante seiner Zwiespältigkeit möchte ich erwähnen. Jeder kent ihn als einen feinen, abgeklärten, überaus höflichen Mann, der fast altruistisch das Interesse anderer berücksichtigte und beinahe ängstlich jeden Mißklang vermied. Und doch barg sein Innerstes einen Vulkan, der freilich nur alle Jubeljahr mal ausbrach, auch durch kein Wölkchen aus dem Krater verriet, wie es drinnen gärte und siedete. Kam aber die Lava in die Höhe, so riß sie alle Widerstände, auch die selbst errichteten, nieder und der vornehme Charakter — man soll es kaum glauben — konnte sacksiedegrob werden.
Die erstaunlichste und vielleicht auch glücklichste Eigenschaft meines Vaters war aber sein fester Glaube an sich in Bezug auf sein künstlerisches Schaffen. Trotz seiner Bescheidenheit, trotz seines strengen, auch gegen sich selbst gerichteten Urteils in Kunstfragen, trotz der bis ins hohe Alter hinein ausbleibenden, lange Zeit nur von einer kleinen Gemeinde gezollten Anerkennung, ja auch trotz der oft scharfen Kritik, die seine treue Mitarbeiterin beim Abschreiben der durch ständige Korrekturen schier unleserlich gewordenen Entwürfe ausübte, war und blieb er der festen Überzeugung, daß seine Schöpfungen in der von ihm gewählten Form das künstlerisch Richtige darstellten, obwohl oder grade weil sie von den Werken der den Markt beherrschenden Schriftsteller abwichen und obwohl die materiellen Erfolge seiner emsigen Arbeit nur eben für seine und seiner Familie Lebensbedürfnisse langten. Meine das Talent ihres Mannes durchaus würdigende Mutter hätte hin und wieder zugunsten des klingenden Mammons eine Darstellungsweise bevorzugt, die dem Geschmack des breiten Publikums entsprach. Dafür hatte wiederum mein Vater durchaus Verständnis, so wenig angenehm er manchmal die Haltung seiner Lebensgefährtin seinen geistigen Kindern gegenüber empfunden haben mochte. Er war sich selbst darüber klar, daß die Auswahl und künstlerische Behandlung des Stoffes seiner Werke Kaviar für die Masse des Volkes war und daß er bei einer anderen Auffassung und Gestaltung mehr Beifall hätte einheimsen können. Hierfür kann ich den Beweis erbringen: Eines Tages durfte ich ihn auf seinem Tiergarten- Spaziergang begleiten. Nach einer Gesprächspause begann er unvermittelt: „Morgen denke ich mit der elften, hoffentlichen letzten Durcharbeitung meiner ,Grete Minde 1 fertig zu sein. Ich halte bei meiner Feilerei die
») Bekanntlich hat Fontane die Sozialdemokratie des öfteren erwähnt, und auch mit Respekt. So stellt er in einer Theaterrezension, die am 21. 4. 1883 ln der „Vossi- schen Zeitung“ erschien, fest: „Der Sozialdemokratie zu dienen, ist gefährlich, aber an Ehreneinbuße denkt kein Mensch mehr. Beinah umgekehrt.“ Was aber Fontanes „Neigung für König- und Junkertum“ angeht, so hatte immerhin der alte Fontane sie soweit überwunden, daß Ihm der Junker nur noch als „Kunst- flgur“ interessant, sonst aber „ein Greul“ war (wie Fontane am 14. V. 1894 an Georg Friedlaender schrieb). — Die Redaktion. —
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