Heft 
(1974) 20
Seite
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Holzschachtel erwies sich für die Beute als zu klein und da sich neben den üblichenMüllern auch einigeKaiser mit glänzenden Rücken­schildern befanden, erregten wir bald den Neid ungeschickterer Jagd­genossen, die uns unsere Beute abnehmen wollten. So flohen wir auf weiten Umwegen durch den düster gewordenen Wald und erreichten endlich die schon im Schein der Laternen schimmernde Wilhelmstraße. Voll Erstaunen und mit leichtem Bangen sah ich vor dem Laden meinen Vater und Bruder George auf und ab schreiten, die mich nun schweigend ins Schlepptau nahmen. Diese Stille bedrückte mich zunehmend, so daß ich mich bemühte, einen aufkommenden Sturm durch die Schilderung meiner Erlebnisse und namentlich der die Verspätung verursachenden Umstände zu beschwichtigen. Aber mir wurde immer unheimlicher zu Mute, so daß ich schließlich meinen Bruder fragte, was denn los sei. Seine Antworten lauteten ausweichend für die Zukunft, für die Ver­gangenheit dahingehend, daß man über mein Ausbleiben erstaunt gewesen sei. Als ich auch zum Abendbrot noch nicht gekommen sei, wäre meine Mutter zu Tante Merckel hinüber gestürzt, wo man unter Tränen der Verzweiflung festgestellt habe, daß ein so artiger Knabe (Anmerkung: de mortuis semper nihil nisi bene) unmöglich bis in die dunkle Nacht hinein fortbleiben könne, folglich verunglückt sein müsse.

Mein Vater hörte dies alles mit an, sagte aber kein Wort. Dieses Aben­teuer endete tragisch für mich. Ich war bereits im Nachthemd, als mir unsere Hausangestellte bedeutete, ich müsse wohl Papa Gute Nacht sagen; meine Mama war nach der Meldung von der Heimkehr des verlorenen Sohnes in der Dessauerstraße 4 geblieben. Ich ging also und machte nun leider im allerungeeignetsten Kostüm a posteriori die Be­kanntschaft meines eigenen, vor Alter zusammengekrümmten Spazier- stöckchens aus Hartgummi, das ich mit seiner indisch wirkenden Farb- musterung noch jetzt deutlich vor Augen habe. Ebenso wie das Straf­instrument ist mir der Gesichtsausdruck meines Vaters in Erinnerung geblieben, den ich mir aus folgendem Gedankengang seinerseits wohl richtig erkläre. Er hatte sich objektiv wie er war unterwegs sicher­lich ein Bild von all den Umständen zurecht gelegt, die mein Verhalten als entschuldbar oder doch weniger strafbar erscheinen ließen. Dieses Bild konnte aber das andere einer um den Verlust ihres Kindes fassungs­los weinenden Mutter nicht auslöschen. Kontrast der Bilder, Konflikt zwischen Gnade und Strafe! Er selbst wäre wohl für Begnadigung gewesen, aber eine Rücksichtnahme auf die strenger denkende Lebens­gefährtin war nicht weniger berechtigt. Verlangt doch die weibliche Psyche, ohnehin gar nicht so häufig zur Gnade geneigt, als man dem schwächeren Geschlecht Zutrauen sollte, unweigerlich Strafe für umsonst ausgestandene Angst.

Außer diesem Vorfall, der noch sein Satyrspiel dadurch erhielt, daß mir unsere Waschfrau am nächsten Tag eine große Tüte voller Maikäfer der Sorte mitbrachte, meine Sammlerleidenschaft jedoch inzwischen völlig verraucht war, entsinne ich mich keiner weiteren väterlichen Exekutive

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