mir gegenüber. Wohl aber hat mir eine solche gegen meinen ältesten Bruder großen Eindruck gemacht, vielleicht auch grade dadurch, daß sie so ganz entgegen dem Wesen meines Vaters wie der Blitz aus heiterem Himmel erfolgte. Bruder George sollte anstelle des vielbeschäftigten Hausmädchens in später Abendstunde einen Brief zum Kasten bringen, was ihm wohl nicht recht paßte, weil er in einen spannenden Schmöker vertieft war. Er zeigte daher bei dem Auftrag einen muffelnden Gesichtsausdruck und bezog dafür schwupp ein paar tüchtige Ohrfeigen. Diese kamen für ihn wie auch für uns ganz überraschend, da bei mehrfachen früheren Anlässen, die viel schwerwiegender waren, eine Züchtigung angebrachter gewesen wäre. Dennoch glaube ich jetzt, meinen Vater völlig zu verstehen. Er war sich seiner Ungeeignetheit in Erziehungsfragen, die z. T. auf Güte, mehr noch auf Indolenz und Abneigung gegen Szenen beruhte, wie auch der Tatsache bewußt, daß er infolge dieser Eigenschaften ein überaus milder, nachsichtiger, von seinen Kindern nichts beanspruchender Vater sei. Wenn er dann aber mal ganz ausnahmsweise einen Wunsch äußerte oder Auftrag erteilte, wie sie anderswo auf der Tagesordnung waren, so mußte dies seinen Kindern eine Freude sein, keinesfalls aber durften sie darüber Unmut verraten. In dieser Erkenntnis überwog bei meinem Vater das Gefühl der Gerechtigkeit und veranlaßte ihn, zu strafen. Daß mir ein so geringfügiger, dabei nicht einmal mich selbst betreffender Vorgang so lebhaft im Gedächtnis geblieben ist, beweist, wie selten er in häuslichen Familienangelegenheiten eingegriffen hat. Er war für uns Kinder ein Mann ohne Falsch und ganz ohne Pose und förderte durch sein Vorbild in uns den Sinn für das sittlich Vornehme und wahrhaft Edle. Ein erzieherisches Vorbild jedoch konnte er für uns nicht sein, denn dazu fehlt eine Entschlossenheit, die einer Persönlichkeit mit abgeklärter, aber auch wehmütig resignierender Lebenseinstellung meistens fehlen wird. Für den Daseinskampf war sein mehr zum Denken als zum Handeln neigendes, sich innerlich gern verschließendes Wesen wohl nicht der geeignete Mentor; er konnte im struggle of life schwerlich als erfolgreicher Streiter gelten und ließ sich lieber von den Geschehnissen leiten, als daß er sie von sich aus meisterte. Daher ist es nicht unwahrscheinlich und durch einige mündliche Andeutungen von ihm bestätigt, daß er im Daseinskampf allmählich unter den Schlitten gekommen wäre ohne den Rückhalt an seiner willensstarken, mit klarem Sinn für die praktischen Seiten des Lebens ausgerüsteten Frau. Ohne sie wäre sein Künstlertum sicher zu einer boheme geworden und die Wirkung eines Tröpfchens vom Blut des Onkel August hätte ihn — vielleicht! — ganz langsam abgleiten lassen. Diese Möglichkeit hätte aber überhaupt nur in seinen jüngeren Jahren bestanden, denn mit Hilfe seiner treuen, ihn sehr liebenden Braut und tatkräftigen Gattin ist er ohne Straucheln die Leiter immer sicherer emporgestiegen.
Begreiflicherweise ist seinen Kindern ein Vater lieber, der sich nicht recht durchzusetzen vermochte, als ein Mann rücksichtsloser Ellenbogenpolitik. Trotzdem gibt es Fälle, wo wir den von ihm ein geschlagenen