Issue 
(1974) 20
Page
263
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

Weg nicht recht folgen konnten und in gereiftem Alter sogar leise den Kopf schüttelten, wenn wir Entschlußunfähigkeit oder zu bequemes laisser-aller feststellen mußten. Zur Veranschaulichung will ich einen Fall als Beispiel herausgreifen, in welchem unser leises Befremden dem bereits längst Verblichenen galt. Im Hause meines Schwagers Fritsch berichtete uns meine Schwester eines Tages, sie habe in einer Buch­handlung die Neuausgabe eines Romans von Papa entdeckt, bisher dafür jedoch ihren Honoraranteil nicht erhalten. Rückfragen ergaben, daß unser Vater für einige seiner Bücher Verlagsverträge abgeschlossen hatte, in denen ein Honorar für den Fall weiterer Auflagen überhaupt nicht vorgesehen waren, und das zu einer Zeit, da Papas einer Sohn Jurist, der andere Buchhändler war, also zweifellos auf diese Lücke im Vertrag hingewiesen hätten. Unrichtig wäre es, Papas Verhalten mit Gutmütigkeit zu erklären. Gutmütig war er eigentlich nicht, dazu war er zu kritisch, wohl aber besaß er namentlich an seinem Lebensabend die mildabge­klärte Güte des alten Stechlin. Für die früheren Jahre darf man wohl urteilen, daß seine Güte ebenso ästhetischen wie Herzensgründen ent­sprang. Das richtige Wort für diese Seite seines Charakters wäre wohl: Verbindlichkeit. Aus seinem vorbildlichen Wesen heraus war er ein so überaus artiger, liebenswürdiger Mensch, dem z. B. schon die Vorstellung innerstes Mißbehagen schuf, jemand könnte vergeblich von ihm eine briefliche Antwort erwarten. Freilich hat diese Medaille auch eine Kehr­seite,- als der Vorzug seines verbindlichen, artigen und gütigen Wesens mit einer erheblichen Schwäche gepaart war. Diese bestand in seiner teils instinktiven, teils grundsätzlichen Abneigung gegen Aussprachen und Klarstellungen, um möglichst Szenen auszuweichen. Da nun aber das tägliche Leben Mißverständnisse und Reibungen mit sich bringt, erscheint mir ein offenes Wort darüber ebenso erforderlich wie heilsam, gleichsam wie bei einem Gewitter, das Spannungen löst und Klarheit und Er­frischung bringt.

Das Bild der Persönlichkeit meines lieben Vaters könnte ich nicht besser abschließen als daß ich noch einige Niedlichkeiten von ihm berichte, die seine liebenswürdige Natur vielleicht noch mehr ins richtige Licht rücken. Sie betreffen einige Verse zu Geschenken an Freunde; da diese Gaben den beschränkten Mitteln des Hauses Fontane entsprechend recht bescheiden waren, erhielten sie ihren Wert erst durch die sie begleitenden Reime. So bekam eine Freundin Jahr für Jahr zum Geburts­tag eine Flasche Kölnisch-Wasser mit scherzhaften Begleitworten, die einmal lauteten:Was erfindungsarm mag scheinen, laß es gelten als .Treue im Kleinen 1 ! Am besten gefallen mir die Reime, die ein unver­heirateter, zum Heiligen Abend bei den Eltern eingeladener Freund unter dem Tannenbaum neben einer Dose Zahnputzpulver fand:Bitte? belieben Sie nicht zu stutzen, als wär hier die Mahnung zum Zähne­putzen. Ich würd auch stehen an dieser Stätten, wenn Sie gar keine Zähne hätten!

Häufiger als es seiner Muße und seiner Muse lieb sein konnte, wurde mein Vater durch die Übersendung von Autogramm-Alben behelligt.