Straße. Da saßen wir gut anderthalb Stunden in einer gelb ge- strichnen Stube, wo noch alles nach alter Zeit und echt preußischer Ruppigkeit schmeckte.“ 9
Sechs schaffensreiche Jahre waren dem Dichter noch beschieden, am 20. September 1898 starb Theodor Fontane. Die Eröffnung des Testaments, die einige Wochen später erfolgte, brachte für die Beteiligten keine Überraschung.
Die Sorge für den literarischen Nachlaß, der zu den umfangreichsten des 19. Jahrhunderts gehört, übernahm Frau Emilie, durch das wechselseitige Testament auch ausdrücklich dazu legitimiert. Sie sichtete zunächst die Briefe, die Fontane noch selbst geordnet und sorgfältig mit Streifband und Aufschrift versehen hatte, dann die zahlreichen Manuskriptkonvolute. Ganz im Sinne der ursprünglichen Verfügung über den Handschriftennachlaß hat die Witwe des Dichters vieles verbrannt, was ihr aus persönlichen oder künstlerischen Gründen nicht geeignet erschien, der Nachwelt überliefert zu werden. Als die Mitglieder der Kommission, die laut Testament erst nach dem Tode Emilie Fontanes wirksam werden sollten, davon erfuhren, schritten sie ein. Frau Emilie wurde nahegelegt, in Zweifelsfällen die Meinung der Kommission einzuholen. Außerdem ordnete Paul Schlenther, der sich als literarischer Berater besonders für das hinterlassene Werk verantwortlich fühlte, an, „alles nur Denkbare zu sammeln und aufzubewahren, vor allen Dingen nichts zu vernichten.“ 10
Da Schlenther als Direktor des Wiener Burgtheaters nur selten in Berlin anwesend sein konnte, übernahm Otto Pniower mit dem Einverständnis von Frau Emilie die Durchsicht der Manuskripte im Hinblick auf eine Gesamtausgabe. Pniower, der damals Assistent im Märkischen Provinzialmuseum, dem späteren Märkischen Museum, war (erst 1918 wurde ihm die Direktion des Hauses übertragen), hat wahrscheinlich den Anstoß gegeben für die von Emilie Fontane geäußerte Absicht, den literarischen Nachlaß des Dichters dem Museum zu übereignen.
Diese Absicht Emilie Fontanes wurde nach ihrem Tode — sie starb am 18. Februar 1902 im Alter von 77 Jahren — der Öffentlichkeit durch die Presse bekannt. Jeweils im Zusammenhang mit einem Nachruf bzw. einer kurzen Todesanzeige brachten mehrere deutsche Tageszeitungen 11 den Hinweis, daß Frau Emilie im Sommer 1901 ihr Testament dahin gehend geändert habe, daß Fontanes gesamter literarischer Nachlaß sowie der Schreibtisch, an dem er Jahrzehnte gearbeitet, dem Märkischen Museum überwiesen werden solle.
Daß dieser Hinweis nicht den Tatsachen entsprach, kann hier erstmals belegt werden. Die einschlägige Fontane-Literatur 12 hat die Legende von der Testamentsänderung offenbar kritiklos aus den Zeitungsmeldungen übernommen und bis heute aufrechterhalten. Ein Brief Paul Schlenthers an Martha Fritsch, geborene Fontane, vom 4. März 1902, der aus dem Nachlaß Friedrich Fontanes überliefert ist und heute im Theodor-Fon- tane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek, Potsdam, aufbewahrt wird, 1 ' 1
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