gibt Auskunft über den wahren Sachverhalt. Das Schreiben ist — von kurzen Auszügen 1 ' 1 abgesehen, die das in diesem Zusammenhang Wesentliche nicht berühren — bisher ungedruckt; mit freundlicher Genehmigung des Leiters des Fontane-Archivs, Joachim Schobeß, wird es daher an dieser Stelle vollständig wiedergegeben:
„Wien, 4. 3. 02.
Hochverehrte Freundin!
Es war mir sehr leid, daß ich Sie nicht mehr in Berlin besuchen konnte. Aber meine Zeit war so sehr durch Theatergeschäfte in Anspruch genommen, daß ich Sie höchstens auf eine Stippvisite hätte sehn können, und das Einzige wonach ich Verlangen trug, wäre ein gründliches und ergründendes, alles Mißverständliche beseitigendes, alles Mißtrauen bannendes, die Gegensätze versöhnendes Gespräch gewesen.
Über den Verbleib des Nachlasses habe ich von Ihrer teuren Mutter nur eine einzige Äußerung gehört. Das war am Charfreitag vorigen Jahres, als ich den Tag über zur Einsicht in die Papiere bei ihr war. Wir standen, wie so oft in der Nr 134c, vor dem alten Schreibtisch, dessen Schubladen sich mir zum ersten Mal öffnen sollten. Der alte Tisch am neuen Platz mutete mich fremd an, und sie merkte das. Dann sagte sie: ,nach meinem Tode kommt der Schreibtisch mit allem was darin ist, ins neue Märkische Museum. Das hat mein Alter so gewollt, damit keins der Kinder durch den Besitz dieses teuersten ErostücKs vor den Andern bevorzugt wird.* Sofort dachte ich, ohne es Ihrer Mutter auszusprechen, an die Möglichkeit, im neuen Museum ein Fontane-Zimmer einzurichten —, wie es im Wiener Rathause ein Grillparzer-Zimmer, in Zürich ein Gottfried Keller-Zimmer gibt. Dies Zimmer müßte möglichst treu dem lieben alten Arbeits- und Freudenraume in der Potsd. Str. nachgebildet werden, gefüllt mit Th. F.- Reliquien, soweit sie habhaft sind. Als Haupt- und Ehrenstück zwischen zwei Fenstern der Schreibtisch, und darin, soweit es Platz hat, das Fontane-Archiv. Wird Schreibtisch und Archiv der Stadt Berlin vermacht, so hätte die Stadt Berlin für würdige Einrichtung und sorgsame Pflege des Fontane-Zimmers zu sorgen. Der Biograph und Nachlaßbearbeiter aber müßte in diesem Zimmer, an diesem Schreibtisch arbeiten. Das war ein Bild, wie es mir vorschwebte, als Frau Emilie noch am Leben war. Ich glaubte, über das Schicksal des Schreibtisches und seines Inhalts sei end- giltig von beiden Eheleuten verfügt worden. Schon in Berlin hörte ich von Paul Meyer, und Ihr Schreiben, verehrte Freundin, bestätigt es mir, daß dieses nicht der Fall ist, daß Meister Theodor nichts verfügt habe und Frau Emilie einseitig nichts verfügen konnte. Nun, dann ist’s ja klar. Das Recht über einen Schreibtisch als Möbelstück zu verfügen, haben nur die Erben; ebenso haben, wie mir scheint, über den Verbleib des litterarischen Nachlasses nur die Erben ein Verfügungsrecht. Die Commission ist nur dazu da, über die Veröffentlichung des litterarischen Nachlasses zu befinden. Soweit dieser Nachlaß Eigenthum ist, gehört er den Erben, soweit er ein öffentliches Interesse hat, unterliegt er den Bestimmungen der Commission. Daß Th. F. selbst ihm ein öffentliches Interesse zusprach, bewies er zur Genüge durch Einsetzung dieser Commission. Die Erben also haben den Nachlaß zu bewahren und zu besitzen, der Commission aber muß er jederzeit zugänglich bleiben und ohne ihre Genehmigung darf er weder verbreitet noch vernichtet werden. So liegen nach meiner Ansicht die Competenzen. Keineswegs aber ist der litterarische Nachlaß eines Dichters vom Range Th. F.’s ausschließlich Familienpapier, sondern er gehört auch zur Geschichte der Cultur seiner Zeit und seines Volks. In diesem Sinne hat die Commission zu walten. Daß Friedrich Fontane als Miterbe, Mitverleger, Mitarbeiter (denn das ist er) den Nachlaß bei sich aufbewahre, dagegen habe ich nicht das Mindeste einzuwenden.
Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr getreuer P. S.“
Das „Mißtrauen“ zwischen den Konimissionsmitgliedern, das Schlenther in seinem Brief sich bemüht zu beseitigen, ist doch offenbar verursacht worden durch die Zeitungsmeldungen, die mit der Todesnachricht die Bemerkung verbunden hatten, daß Emilie Fontane in oben zitierter Weise über den Dichternachlaß verfügt habe. Die Vermutung liegt nahe,
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