Heft 
(1974) 20
Seite
274
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Bemühungen um eine Beihilfe für die Verwaltung der Fontaneschen Hinterlassenschaft als auch die Versuche, für das Gesamtobjekt einen würdigen Käufer mit angemessenem finanziellen Angebot zu finden, gescheitert waren. Trotzdem ist die Tatsache nicht zu übersehen, daß der Sohn des Dichters mit diesem Entschluß den handschriftlichen Nachlaß Theodor Fontanes, der Bestandteil des kulturellen Erbes seines Volkes ist, zur Ware degradierte.

Die Versteigerung, mit der die Zerstückelung des Nachlasses massiv einsetzte, fand am 9. Oktober 1933 in der Lützowstraße 29 statt, unweit von Fontanes letzter Wohnung in der Potsdamer Straße. Gleichzeitig mit der schriftlichen Hinterlassenschaft Theodor Fontanes wurde der Nachlaß August von Kotzebues angeboten/' 9 Ein anonymer Augenzeuge hat über dieses Ereignis in der WochenschriftDie Mark folgender­maßen berichtet:

Noch nie zuvor ist weder in Berlin nach anderswo der schriftliche Nachlaß eines berühmten Dichters von einem derartigen Umfang versteigert worden, wie am Montag nachmittag jener Theodor Fontanes. Die Ankündigung der Versteigerung hatte den kleinen Saal des Antiquariats von Hellmut Meyer Ernst in Berlin bis zum letzten Plätzchen gefüllt, viele Sammler waren neben den Vertretern des Reichsarchivs, der Staatsbibliothek und des Ver­eins für die Geschichte Berlins erschienen. Das Interesse war sichtlich allgemein, die Kauflust aber verhältnismäßig recht gering. Das hing wohl auch damit zusammen, daß viele Preise, zumal der Gedichte, recht hoch waren, dem heutigen Geldmarkt wenig angepaßt; dann wieder konnte man im späteren Verlauf sehr gute Stücke preiswert erwerben, davon wurde auch Gebrauch gemacht. w

Für die Erben dürfte das Ergebnis der Auktion eine Enttäuschung gewesen sein. Die unsichere wirtschaftliche Situation in den ersten Monaten der Hitlerherrschaft war der Auktion nicht günstig. Private Interessenten kauften zögernd und zurückhaltend, und die staatlichen Institutionen waren an ihre gerade in dieser Zeit knappen Etatsmittel gebunden. Von den in 280 Nummern zerlegten und angebotenen Origi­nalhandschriften fanden nur etwa ein Viertel einen Käufer. Gedichte und Balladen wurden wenig gekauft, Wanderungsmaterial gar nicht. Die Preußische Staatsbibliothek brachte vor allem 66 Notizbücher, zahl­reiche Novellenentwürfe darunter das ManuskriptMathilde Möh- ring, einige Gedichte, Fontane-Briefe an Wilhelm und Henriette von Merckel sowie an Friedrich und Karl Eggers, Gerhart Hauptmanns und Spielhagens Briefe an Fontane und das Manuskript der Beschreibung der ersten englischen Reise von 1844 in ihren Besitz. 51 Das Reichsarchiv in Potsdam kaufte Fontanes Briefe aus der französischen Kriegsgefangen­schaft von 1870 und die Feldpostbriefe des jungen preußischen Offiziers George Fontane an seine Eltern. Nur um die acht Bände Tagebücher geschrieben in den Jahren 1852 bis 1898 entstand ein lebhafter Interessentenkampf, den der vermögende Privatsammler Paul Wallich, Bankdirektor in Berlin, für die Summe von 2 500 RM für sich entscheiden konnte. Gleich ihm erwarben zahlreiche andere private Autographen­sammler und Fontane-Liebhaber Einzel- und Kollektivstücke des Nach­lasses, die für die Forschung in der Regel von nun an als verloren gelten konnten.