Vier Briefe Philippine Fontanes an Wilhelm Wolfsohn ( 1842 - 1848 )
Mitgeteilt und kommentiert von Christa Schultze
I
„Tante Pinchen war ... eine junge Frau von wenig über Dreißig, die während ihrer frühesten Jahre ... ungewöhnlich hübsch gewesen sein sollte... Tante Pinchen hatte mancherlei Tugenden, half gern und tat es wohl auch aus gutem Herzen; aber das eigentlich treibende Motiv ihres Tuns war doch ein schauspielerischer Zug, ein unbezwingbarer Hang, sich als rettender Engel in Szene zu setzen. Sie gab sich auch dementsprechend, war immer einfach, aber äußerst sauber gekleidet und trug ein italienisches Spitzentuch, das ziemlich kokett über das aschblonde Haar gelegt und unter dem Kinn in einen zierlichen Knoten geschlungen war.“ Mit diesen Worten erinnerte sich der alte Fontane an Philippine Fontane, geb. Sohm, die Frau seines Onkels August, wie sie ihm 1842 in Leipzig entgegengetreten war, als sie sich anschickte, den kranken Apothekergehilfen zu pflegen und zu verwöhnen, ihn dabei mit großer Virtuosität unterhaltend, — „wiewohl sie nicht eigentlich interessant war, und das, was sie davon hatte, durch eine gewisse Gespreiztheit jeden Augenblick wieder in Frage stellte.“ 1 Als der Dichter Mitte der neunziger Jahre Philippine in „Von Zwanzig bis Dreißig“ so beschrieb, weilte sie bereits über ein Jahrzehnt nicht mehr unter den Lebenden. Im Bewußtsein, ihr und ihrem „bloß Karte spielenden Bummelmann“ 2 für so manche in jungen Jahren empfangene Hilfe „persönlich doch zu großem Danke verpflichtet“ 3 zu sein, widerstand Fontane der Versuchung, die Charakteristik Tante Pinchens, die „für eine psychologische Studie... beinahe mehr noch als der Onkel“ geschaffen war, für die Öffentlichkeit weiter auszuspinnen. Der Leser seiner Erinnerungen erfährt von ihrem geistigen Habitus — außer der Erwähnung einer „merkwürdigen Mischung von Liebenswürdigkeit und Würde, worauf sie sich überhaupt gut verstand“ — eigentlich nur noch, daß Fontane, als er im Sommer 1846 in Berlin „wieder in ihr angenehmes Haus“ einkehrte, sie „ganz unverändert“ fand, als „die feine Dame, die von Kunst zu sprechen und dabei einen literarischen Protektionsstil, ein ganz klein wenig im Stile von Rahel Levin oder Fanny Lewald, anzuschlagen verstand“. 4
In lebhafteren Farben schilderte Fontane Tante Philippine in Briefen, die er zu ihren Lebzeiten schrieb und die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Bei einer Begegnung mit der nunmehr 65jährigen im August 1875 in Freiburg im Breisgau z. B. erregte ihre „seit 50 Jahren in Permanenz erklärte Sentimentalität“ seinen heftigen Unwillen: „Sie ist ... tief langweilig, genau so wie ihre Briefe. Alles ist wohlgesetzt und gibt sich den Anschein der Bildung, des Gedanklichen, der Ideen und des Idealen. Sie hat aber von alledem nichts. Alles ist Blech, klappert indes so geschickt, daß man es, bei einiger Unaufmerksamkeit, für Musik