halten kann. Der Mensch stirbt, wie er geboren wird. So war sie vor 50 Jahren, und so wird sie aus dieser Zeitlichkeit scheiden. Die fleischgewordene Phrase, soweit man von Fleisch überhaupt reden kann, aber innerhalb dieser Phrasenhaftigkeit guten Glaubens und von der Echtheit ihrer Empfindungen, von der Mission, die sie innerhalb der Idealwelt erfüllt hat, tief durchdrungen. Ich weiß nicht, soll ich sagen eine beneidenswerte oder eine traurige Erscheinung!“ 3
Uber Richtigkeit oder Unrichtigkeit des von Fontane entworfenen Bildes, über Tante Pines Hang zur Phrase und Sentimentalität, kann der Leser anhand ihrer nach den im Fontane-Archiv Potsdam aufbewahrten und hier abgedruckten Briefe an Wilhelm Wolfsohn zum erstenmal selbst urteilen. Deren Hauptbedeutung aber liegt in den Splitterchen, die sie für die an Quellenmaterial so arme Frühzeit Fontanes bergen. Wir erfahren aus den Briefen, daß auch nach Fontanes Fortgang aus Leipzig
— und später aus Dresden — über Philippine eine Verbindung zu den bevorzugtesten Freunden Wilhelm Wolfsohn und Max Müller bestand. Die Aufhellung von Einzelheiten aus deren Jugendzeit vermag mitunter dazu beizutragen, auch dem jungen Fontane auf die Spur zu kommen. Beide Freunde hatten während Fontanes Leipziger Zeit in Tante Pines Hause verkehrt. Auch in der Geselligkeit ihres Heims — nicht nur im „Herwegh-Klub“ benannten Leipziger Studentenkränzchen — hatte Fontane, vor allem wohl während seiner bei Pine verbrachten Rekon- valeszens im April und Mai 1842, Wolfsohn russische Literatur vortragen hören. Zu dieser Annahme berechtigt Wolfsohns im Juni 1847 an Philippine Fontane gerichtete Einleitung zu seiner Übersetzung von Puschkins „Kapitänstochter“, in der er die Zeit zurückruft, da er sie mit der noch wenig bekannten Literatur seines Heimatlandes vertraut gemacht, in das sie „so oft und so gern“ seiner „liebenden Erinnerung gefolgt“ sei. Für Fontanes Anwesenheit bei so verbrachtem Beisammensein spricht der hier vorgelegte Brief vom 26. August 1843, in dem Philippine sich im Geiste den durch Wolfsohn gehabten Genuß wiederholt, dem sie „so manche schöne, edlere Lebensfreude“ verdanke, und
— sich die vergangenen Stunden vergegenwärtigend — hinzufügt: „Auch Theodor ist dann bei uns!“ Diese „Lektionen in russischer Literatur“ hat Wolfsohn im Auge, wenn er in seiner Einleitung zur „Kapitänstochter“ an Philippine die Worte richtet: „Am leichtesten hoffe ich Ihnen den Namen Puschkins wieder ins Gedächtnis zu rufen, über den Sie wohl auch noch von anderer Seite manches gehört und gelesen haben.“ 11 Eine solche Möglichkeit, Puschkin „von anderer Seite“ kennenzulernen, hatte Wolfsohn bei seiner Abreise aus Leipzig im Juni 1843 selbst in die Wege geleitet, als er die von Tröbst und Sabinin übersetzten, vermutlich von einem Besuch der Familie Sabinin in Weimar im Mai 1843 mitgebrachten Novellen Puschkins dem Freunde (der bei seinem Versuch, sich als Schriftsteller zu etablieren, wiederum bei Tante Pine in Leipzig Unterschlupf gefunden hatte) zur Lektüre zurückließ. Fontane schrieb in diesem Zusammenhang in seinem undatierten, gemeinsam mit Max Müller und Hermann Jellinek in Leipzig wahrscheinlich Ende Juni oder
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