Unser Theodor ist jetzt daheim, im Kreise der Seinen. Leider hat bis jetzt seine Militär-Angelegenheit 1 noch keine günstige Wendung genommen. Mit betrübter Seele sage ich es: ich fürchte, diese Sache werde noch hindernd seiner Laufbahn in den Weg treten. Gott, der gütige Lenker der menschlichen Schicksale, möge auch das meines guten Theodors gnädig lenken! —
Unser Leben, lieber Freund, ist noch dasselbe als es bei Ihrer Abreise war. Ruhig, einfach und zufrieden fließt es dahin wie ein Bächlein, dessen klare Fläche nur selten durch Sturm und Gewitter in Wellen sich kräuselt. Wohl auch manch’ Blümchen blüht und blühete an seinem Uferrande, welche sorgsam ich sammle, und in meinem Herzen als Erinnerungskranz aneinander reihe, um oft meine Seele daran zu erquicken. — Auch Sie, lieber Freund, haben eine Blume zu diesem Kranze mir geben müssen. Die Erinnerung an die mit Ihnen für mich so angenehm verlebten Stunden lebt so klar in meiner Seele, daß ich nicht selten Sie vor mir sitzen sehe, und so im Geiste mir den Genuß wiederhole, der mir zuweilen — durch die freundliche Güte, mit der Sie mir Ihre Gegenwart geschenkt — zuteil geworden. Auch Theodor ist dann bei uns! Ich bin in der Erinnerung glücklich! Dann füllt auch wohl leise Wehmut meine Seele, — und schmerzlich bedaure ich es, daß fern mir die sein müssen, denen ich so manche schöne, edlere Lebensfreude danke, und dann so allein mich fühle! — Doch Mut und Fassung! Alle, die sich freundlich zugetan, wird ein gnädiges Geschick wieder zusammen führen, und dann ein neues, glückliches Leben beginnen! Mein guter, engelguter Mann ist Gott sei Dank gesund, und grüßt Sie freundlich. Ebenso auch meine Rosa . 3 — Leben Sie wohl, verehrter, lieber Freund! Mit unveränderter Freundschaft
Ihre Philippine Fontane
Kommentar
1 Wolfsohn hatte im Juni 1843 Leipzig verlassen und war über Brody (Galizien) in seine Heimat Odessa gefahren.
2 Diese anscheinend erste Mitteilung, die Wolfsohn nach seiner Abreise dem Freund an Philippines Adresse schickte, und die demzufolge im August 1843 geschrieben worden sein muß, ist nicht überliefert.
3 Wolfsohn war mit der Absicht nach Rußland gereist, „das geistige Leben seiner Heimat auf vaterländischem Boden zu beschreiben und nachzusingen“ (vgl. seine Vorrede zu: Die schönwissenschaftliche Literatur der Russen. Auserwähltes aus den Werken der vorzüglichsten russischen Poeten und Prosaisten älterer und neuerer Zeit, ins Deutsche übertragen und mit historisch-kritischer Übersicht, biographischen Notizen und Anmerkungen begleitet von C. Wilhelm Wolfsohn, 1. Band, Leipzig 1843, S. XI). Diese Absicht wurde verwirklicht in den Ubersetzungsbänden: Rußlands Novellendichter. Übertragen und mit biographischkritischen Einleitungen von Dr. Wilhelm Wolfsohn. 1. Teil: Helena Hahn. Alexander Puschkin, Leipzig 1848; 2. Teil: Nikolaus Pawlow, Leipzig 1843; 3. Teil: Alexander Herzen, Leipzig 1851 und: Erzählungen aus Rußland. Deutsch von W. Wolfsohn, l. und 2. Teil, Dessau 1851. — Seinen Lebensunterhalt verdiente Wolfsohn in Odessa mit Vorträgen über „die poetische Nationalliteratur der Deutschen“, die am 2. Dezember 1843 begannen und bis zum 2. April 1844 zweimal wöchentlich fortgesetzt wurden.
4 Zwei Schreiben Fontanes in der „Militärangelegenheit“, gemeint ist die beabsichtigte Ableistung seiner Dienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger, geschrieben in Letschin am 15. August und 19. September 1843, sind abgedruckt bei: J. Schobeß, Theodor Fontane und der Revolutionär Max Dortu waren Regimentskameraden. In: Fontane-Blätter, 1972, Band 2, Heft 7, S. 500-501.
294