Heft 
(1974) 20
Seite
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Nicht mit Unrecht tadelte man Sie deshalb allgemein! Und so schwer es mir ward, konnte ich kein genügendes Motiv zu Ihrer Entschuldigung finden. Sie wissen, ich habe mich offen hierüber gegen Sie ausgesprochen - wie streng ich in Erfüllung eines gegebenen Wortes bin, und ein Gleiches von jedem ehrenwerten Menschen verlange. Denken Sie sich also meinen Kummer, als am Freitag Abend Herr Simrahen nach Hause kam, und mir erzählte:daß selbst auf seine schriftliche Aufforderung an Sie, die bewußten Briefe nicht angelangt seien, und Fräulein Boldrini, die morgen abresen wolle, hierdurch höchst unangenehm berührt sei. Aufs höchste aufgeregt davon, daß ich einen Menschen, der mir stets so lieb, so wert gewesen, des kleinlichen Wortbruchs zeihen hörte, und, da die Tatsache scheinbar dafür sprach, kein Recht mehr hatte, ihn zu ver­teidigen, eilte ich an den Schreibtisch, und schrieb die Zeilen an Sie, 11 die gewiß richtg in Ihre Hände gelangt, und Ihnen, ich weiß es weh getan haben!

Noch vor ein paar Jahren lebte ein so kindliches, unerschütterliches Ver­trauen zu den Menschen, die ich liebte und achtete, in meiner Brust, daß ich dadurch sehr glücklich war. Dieses Vertrauen hat man leider erschüttert; so daß es nur eines kleinen Anstoßes bedarf, um Zweifel und Mißtrauen in meinem Herzen zu erregen. Wie sehr dadurch mein stilles, heiliges Seelenglück getrübt? diese Frage wird Ihr mildes Herz, mein treuer Freund, am richtigsten beantworten! Habe ich Ihnen weh getan, so vergeben Sie mir, und sein Sie auch fürs spätere Leben mein wohlwollender, lieber Freund!

Die Ereignisse der Gegenwart erhalten mich fortwährend in einer geistigen Aufregung, wie ich sie zuvor fast nie gekannt. Daß aus diesem Chaos ein schöneres, besseres Leben für künftige Geschlechter sich entfalten muß, entfalten wird, ist meine feste Überzeugung. Und diese Überzeugung gibt mir den Mut, der eigenen, düstern Zukunft voll Gottvertrauen entgegenzugehen, und kein Opfer zu scheuen, zum Heile des Allgemeinen, auch mein Scherflein auf den Altar des Vater­lands zu legen. Ach, wäre ich ein Mann und dürfte aussprechen, was alles sich in meiner Brust bewegt. Dürfte durch die Tat es auch beweisen, wie stolz, wie glücklich würde ich sein. Aber ich bin ein Weib ein armes, in die engsten Grenzen eingezwängtes Weib und werde nie­mals einem Menschen sagen, welch eine Welt in meinem Herzen lebt! Nur liebend zu helfen, wie ich kann und vermag, das möge man mir ohne hämische Bemerkungen gestatten. Dann bin ich gern zufrieden; und hoffe hierin den Beruf des Weibes nicht ganz verfehlt zu haben.

Mein lieber, herzensguter Mann sowie Röschen grüßen Sie und Ihre liebe Emilie bestens. Von mir an dieselbe, den innigsten, wärmsten Seelengruß! und die Versicherung: wenn das Geschick mich nach Leipzig führen sollte, ich mir es angelegen sein lassen werde, sie näher kennen­zulernen und womöglich, mir ihre Liebe zu gewinnen. Leben Sie wohl, mein Freund, und bleiben Sie gut

Ihrer Philippine Fontane

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