Es folgt eine lange Zeitspanne, in der Fontane mit seinen Kriegsbüchern, den Wanderungen und den Theaterrezensionen zu beschäftigt war, um sich seinem Roman widmen zu können. Eine dementsprechende Lücke findet sich in seiner Scott-Lektüre. Allerdings nahm er gern Rodenbergs Anerbieten an, einen Artikel zum Scott-Jubiläum von 1871 zu schreiben. Er nennt Scott seinen Lieblingsdichter,*> und es ist möglich, daß die Aufstellung der Scottschen Romane (inhaltlich) in chronologischer Reihenfolge, die sich heute im Fontane-Archiv in Potsdam befindet, zu dieser Zeit entstand. Den Romanen wandte sich Fontane erst wieder zu, als er mit der Revision des dritten Bandes von Vor dem Sturm beschäftigt war: in Thale im August 1877 las er im Altertümler. Sein Tagebuch- Kommentar: „Als ich das Buch zuklappte ... atmete ich auf und sagte mir... ,So gut machst du’s auch“*, 7 ist bekannt und zeigt, daß er den Scottschen Roman in direktem Vergleich zu seinem eigenen las.
Die Kritiker, die sich mit dem Einfluß Scotts auf Fontane bisher beschäftigt haben, fallen deutlich in zwei Gruppen: Die erste, deren Hauptvertreter L. Shears und Adolf Paul sind, bemüht sich, direkte Einflüsse nachzuweisen und geht bis zu einer naiven Gleichsetzung der Figuren in den einzelnen Romanen. Die zweite, spätere Gruppe mahnt zur Vorsicht gegen solche allzu vereinfachten Parallelen. Charlotte Jolles z. B. hebt hervor, daß allgemeine Ähnlichkeiten zwischen Scotts und Fontanes Werken von Typ her erklärbar sind und nicht unbedingt auf ein Abhängigkeitsverhältnis hinweisen. Sie argumentiert, daß ähnliche Ziele „naturally resulted in similar methode and even similar subject matter being used without necessarily looking for the original in Scott’s novels“. 8 Spätere Kritiker gehen allerdings nicht so weit und nehmen durchaus Waverley z. B. als Muster für Vor dem Sturm an, aber sowohl Paul Demetz als auch Hans-Heinrich Reuter betonen, daß die Verschiedenheiten vielleicht schwerer wiegen als die Ähnlichkeiten. Sie sind die ersten, die die Entwicklung des historischen Romans in Betracht ziehen, die von der Erzählung romantischer Abenteuer vor weltgeschichtlichem Hintergrund zum Bild einer vieldifferenzierten Gesellschaft vor lokalem Hintergrund steht. Beide Kritiker betonen außerdem Fontanes Auseinandersetzung mit anderen literarischen Werken außer denen Scotts, und nicht zuletzt Fontanes kritische Wertung Scotts, seine ambivalente Stellung zu den Wauerley-Romanen.
Fontane selbst unterstützt die Vorsicht der späteren Kritiker. In dem bekannten Brief an W. Hertz vom 17. Juni 1866 sagt er ausdrücklich: „Ich habe mir vielmehr vorgenommen, die Arbeit ganz nach mir selbst ...zu machen, ohne jegliches bestimmte Vorbild; selbst die Anlehnung an Scott betrifft nur ganz Allgemeines“. 9 Aber solche Versicherungen waren natürlich in seinem eigenen Interesse, und Hans-Heinrich Reuter hat in anderem Zusammenhang gezeigt, wie sehr Fontanes Urteile von der Sorge um das eigene Werk gefärbt sein konnten. 10 In einem Brief vom November 1878 an Ludovika Hesekiel, in dem er sie um die Rezension seines Romanes bittet, streitet er den Einfluß Scotts nicht mehr so scharf ab, sondern bittet nur noch ihn nicht zu sehr zu betonen. 11 Ein
301