Brief an seinen Verleger Hertz vom 9. Oktober zeigt jedoch deutlich, wie sehr sich Fontane noch der Scottschen Tradition verbunden sah. Es handelt sich offensichtlich um das Konzept einer Anzeige des Romans. Fontane schreibt: „Ich habe meine Frau die Copie machen lassen, damit ich mich nicht in eigener Handschrift zwischen W. Scott und W. Alexis stelle.“ 12
Aber schon der Brief von 1866, in dem Fontane seine Unabhängigkeit so betont, zeigt deutlich seine Verbindung zu Scott. Es ist bisher übersehen worden, daß die Aufzählung seiner Ziele, die sich unmittelbar anschließt, deutlich an die drei Hauptziele des Waverley erinnert, wie sie im ersten Kapitel besprochen werden, das Fontane nur wenige Monate zuvor studiert hatte.
Fontane schreibt, sein Roman solle „ohne Mord und Brand und große Leidenschaftsgeschichten“ sein. 13 Der Erzähler des Waverley hatte auch gesagt, seine Geschichte seine keine der „stories of blood and horror“, und keine sentimentale Liebesgeschichte „with a heroine with a profusion of auburn hair“,' /| er setzt seinen Roman ausdrücklich von der allgemein beliebten Sensationsliteratur ab. — Es ist nun keine Frage, daß Scotts Roman im Vergleich mit Vor dem Sturm eine viel buntere und abenteuerlichere Handlung hat, die auch dramatischer zugespitzt ist. Kritiker haben dies immer wieder betont, und auch Fontanes wiederholte Kritik an Scotts Oberflächlichkeit, und sein Kommentar über den Kerker zu Edinburgh: „... an einzelnen Stellen nicht viel was andres als ein höherer Räuberroman“ 15 , beziehen sich wohl auf diesen Punkt. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß Vor dem Sturm trotz aller Diffusität eine dramatische Handlung hat. Fontane selbst kommentiert darüber in einem Brief an Ludovica Hesekiel: „Nach etwa zwei, drei Nummern werden Sie einem Kapitel begegnen, das in einer gewissen ironischen Beur- theilung des Voraufgegangenen die Überschrift trägt: ,Es geschieht etwas*. Von da ab beginnt dann allmählich der eigentliche Roman ... Je mehr dem Ende zu, je mehr Aktion und je mehr Drucker. Doch will ich damit nicht gesagt haben, daß es von Stufe zu Stufe besser würde... “ lfi Zu Beginn des Waverley gibt es in ähnlicher Weise Nebenhandlungen, Exkurse und Genre-Szenen, während sich die Handlung gegen Ende zu mehr und mehr überstürzt. Scott selbst verglich diese Art der Handlung mit einem Stein, der schneller und schneller den Berg herunterrollt. 17 In beiden Romanen ist die direkte dramatische Handlung auf eine Schlacht gegen Ende konzentriert, die im Verhältnis zu den Beratungsszenen etc. sehr wenig Raum einnimmt. Und obwohl die „Weltgeschichte“ direkter in Scotts Roman eindringt, wird ihr doch ebensowenig erlaubt, die Entwicklung der Charaktere und ihre Beziehung zueinander zu überspielen, wie in Vor dem Sturm. Kapitel 57 von Waverley z. B. beginnt mit der Versicherung des Erzählers: „It is not our purpose to intrude upon the province of history“, 18 es folgt dann ein sehr kurzes Resume der Situation, und der nächste Abschnitt wendet sich wieder den Personen des Romans zu. Schlachtenbeschreibungen sind sehr selten, ja der Erzähler scheint sogar sich eine Freude daraus zu machen, die
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