von den Geschehnissen und Schicksalen der Personen „illustriert“, nicht vom übergeordneten Erzähler abstrahiert. Und das aus gutem Grund. Das Beispiel des Kerker von Edinburgh zeigt, wie I. Williams hervorgehoben hat, 2 * wie wenig die formelhafte Zusammenfassung des Erzählers der Komplexität und Lebendigkeit des Romans gerecht wird. — In diesem indirekten Sinn, in dem die Vorgänge im Roman für sich selbst sprechen, ist Vor dem Sturm auch noch beispielhaft belehrend. Vor allem die „poetische Gerechtigkeit“ reflektiert noch stark didaktische Muster. So erhält Lewin z. B. die „Sternenprinzessin“ als Preis, weil er jung und gut und der „Held“ der Geschichte ist; Tubal hingegen, der interessanter und weniger tugendhaft ist, muß für seine Schwächen mit dem Tod zahlen. — Dieses Schema erstreckt sich allerdings nicht auf alle Charaktere, und besonders Bernd ist eine komplexe Figur, wie sie in Fontanes späteren Romanen mehr und mehr zu finden ist. Je mehr Seiten seines oft widersprüchlichen Charakters enthüllt werden, desto weniger gibt es ein „gerechtes Schicksal“ für ihn. In Scotts Romanen, in denen die Handlung noch eine größere Rolle spielt, handeln die Charaktere alle ihrer „flachen“ Natur nach und helfen so dem Leser, durch alle Zufälle, Intrigen und Verkleidungen den Faden nicht zu verlieren und auch die moralischen Folgerungen zu ziehen. In der Wahl zwischen komplizierter Handlung und komplizierten Charakteren steht Scott auf der einen, Fontane mehr und mehr auf der anderen Seite. Neben den drei allgemeinen Gemeinsamkeiten scheint Fontane selbst noch eine vierte, genauere hervorheben zu wollen: die Zeitwahl. Seine Definition des Romans in Bezug auf die gewählte Epoche — in der Ahnen-Rezension von 1875 — ist oft von Kritikern zitiert worden. Da sie sich aber zum Teil auf Scott bezieht, sei sie noch einmal wiederholt: „Der Roman soll ein Bild der Zeit sein, der wir selber angehören, mindestens die Widerspiegelung eines Lebens, an dessen Grenze wir selbst noch standen oder von dem uns unsere Eltern noch erzählten. Sehr charakteristisch ist es, daß selbst Walter Scott nicht mit Ivanhoe (1196), sondern mit Waverley (1745) begann ... Seine besten Erzählungen liegen innerhalb des 18. Jahrhunderts oder an dessen Eingang.“ 30 Für Fontane, dem an der Authentizität der historischen Situationen gelegen war, war dies ein einfacher Ausweg; die jüngste Vergangenheit war noch unmittelbar dokumentiert und noch nahe und daher interessant genug für den Leser der Gegenwart. Die Anwendung dieses Schemas auf Scott scheint auch zunächst gerechtfertigt. Scott begann nicht nur mit Waverley, sondern bewegte sich auch in den folgenden Romanen immer mehr auf die Gegenwart zu. In der Anzeige zum Altertümler, dem bis dahin gegenwartnächsten Roman, sagt der Erzähler selbst, die Serie sei mit diesem Werk abgeschlossen. Sie war es aber nicht. Die folgenden, im Mittelalter spielenden Romane, zeigen deutlich, wie ausschließlich Scott daran gelegen war, den Geschmack seines eigenen Publikums zu befriedigen. Er bedient sich dabei dreier Hilfsmittel! Er betont die allgemeine Menschennatur, die sich — wie er schon im Waverley hervorhob, zu allen Zeiten und unter jedem Kostüm gleich bleibt. — Ein Nachklang dieser
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