Scotts, die Fontane bekannt waren. Ähnliche Urteile sind über den Kerker von Edinburgh bekannt. 30 In ihnen kommt der grundsätzliche Gegensatz der beiden Schriftstellertypen zum Ausdrude. Scott schrieb viel und schnell und korrigierte nur wenig, während Fontane jede Seite mit äußerster Sorgfalt immer wieder korrigierte: „Daher ... auch die ewigen Correkturen, weil nicht die Dinge sachlich, sondern durch ihren Vortrag wirken.“ 37 Fontanes Tadel bezieht sich aber nur auf dieses Element der sorgfältigen Ausarbeitung, und schließt die Bewunderung anderer Eigenschaften nicht aus. Die offensichtlichen Parallelen mit seinem eigenen Werk bestätigen dieses genaue und im Ganzen wohlwollende Studium.
Die Ähnlichkeiten zwischen Vor dem Sturm und dem Altertümler sind um so hervorstechender, als der Altertümler sehr verschieden von Waver- ley und dem Kerker von Edinburgh (und den übrigen Romanen Scotts) ist. Der Roman spielt in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts in einer kleinen Stadt an der Ostküste Schottlands und ihrer Umgebung. Aber es gibt keine Clans mehr, keine deftige Landbevölkerung und Schurken wie in Waverley und dem Kerker von Edinburgh. Der Leser bewegt sich in der gesitteten Gesellschaft von Landadel und gelehrten Dilettanten. Obwohl Wardour und Oldbuck exzentrisch sind, sind sie weder ungeschlacht wie Bradwardine noch lächerlich wie Dumble. Sie sind weniger typisch als die meisten Charaktere in Waverley z. B., in dem der Erzähler in der Nachschrift ausdrücklich sagt: „The Lowland Scottish gentle- men... are not given as individual portraits, but are drawn from the general habits of the period.. .‘ <38 Sie halten vielmehr die Mitte zwischen Typ und Individuum, wie der Erzähler sagt, „I have always studied to generalize the portraits“, 39 sind also Charaktere wie sie Fontane selbst pries. Die genauere Ausarbeitung der Charaktere bewirkt, daß sie unberechenbarer als die Figuren im Waverley und den anderen Romanen sind.
Der malerische Hintergrund fehlt, und auch die zugehörige Kostümierung. Der Roman könnte in der Gegenwart des 19. Jahrhunderts spielen, wenn nicht Hinweise auf die eben stattgefundene Französische Revolution dies ausschlössen. Der Leser befindet sich wieder in Scotts unauffälliger mittlerer Vergangenheit. Die Figuren selbst sind historisch bedeutungslos. Eine große Menge von Charakteren tritt auf, die aber nicht wie üblich mehr und mehr miteinander verflochten wird (mit Ausnahme eines einzigen verschollenen Sohnes, der sich gegen Ende entpuppt). Das Fehlen einer solchen Verflechtung bringt ein Fehlen an Handlung überhaupt mit sich, ebenso wie das Fehlen von typischen Figuren keine deutliche Moral mehr zuläßt. Der Leser folgt nicht mehr den flachen Charakteren durch ein Gewirr von Intrigen mit dramatischen Höhepunkten, sondern sieht ein Panorama einer Gesellschaft an sich vorüberziehen, deren Hauptbeschäftigung Streitgespräche in Abendgesellschaften und Spaziergänge und Landpartien sind. Von Zeit zu Zeit belebt sich das Bild, so z. B. wenn Wardour und seine Tochter fast von der Flut verschlungen werden, aber solche Begebenheiten bleiben Episode und werden sogar an anderer Stelle persifliert (wie in dem Kampf mit dem
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