Wenn man von solchen, z. T. nicht unerheblichen Mangeln absieht, bleibt C. Kahrmanns Arbeit zweifelsohne wertvoll als erster größerer Versuch, das epische Werk Fontanes unter dem Aspekt des Idyllischen zu durchforschen.
— Dr. Joachim Krueger, Berlin —
Pierre Bange: Ironie et dialogisme dans les romans de Theodor Fontane. Presses universitaires de Grenoble, 1974; 304 S., Großoktav. Veröffentlicht mit Unterstützung der Universität Lyon II.
Die Habilitationsschrift des Lyoner Germanisten Professor Bange liegt nunmehr im Druck vor. Es handelt sich um eine grundlegende Arbeit, deren Gedankengang vom Verfasser selbst zusammenfassend definiert worden ist. Wir geben seine Ansichten kurz wieder: Gemeinhin werden Fontanes Romane den Werken von Flaubert und Turgenjew zur Seite gestellt, als Beispiele dichterisch-kritischer Darstellung einer sozialen Wirklichkeit. Hier soll jedoch zum ersten Male eine Strukturanalyse unternommen werden; der Verfasser zerlegt den Erzählgang eines jeden der Romane Fontanes in Abschnitte; daraus ergibt sich, daß die Romansegmente, verglichen mit den Segmenten anderer Romane, Analogien aufweisen, aus denen sich ein dramatisches Schema ergibt, welches sich, von einem zum anderen Roman, stets als dasselbe herausstellt. Dieses jeder Erzählung zugrunde liegende Schema beruht auf einem Ödipus- Konflikt.
Soweit der Verfasser über seine eigene Methode, die folgendermaßen exemplifiziert wird: Im Gegensatz zu den Romanen von Alexis oder von Spielhagen, die ähnliche Themen behandeln wie Fontane, zeigt sich bei diesem jenes besondere Schema, das eben nur seinen Romanen eigen ist, ganz gleich ob es sich um einen historischen oder einen Gegenwartsroman handelt. Dieses Schema wird in vier Phasen zerlegt, die der Verfasser „mouvements“ nennt, also „Sätze“ im musikalischen Sinne des Wortes. Innerhalb dieser Phasen treten stets dieselben dramatis personae auf: A, die Vaterfigur, B, die weibliche Gestalt, C, die männliche „Instanz“, also der Liebhaber.
Ausgangspunkt aller Strukturanalysen ist ein Jugendwerk Fontanes, die Novelle „Geschwisterliebe“, in der B und C (der blinde Rudolph und seine Schwester Klara) in liebevoller Harmonie miteinander leben, bis A (der Pastor) sozusagen als Vaterfigur auftritt und das wunschlose Glücklichsein der Geschwister zerstört, indem er, Symbolfigur für die Außenwelt, für sie sozial-moralische Ordnung, das Mädchen heiratet. Der Rezensent würde hier eher einen Wälsungenkomplex als einen Ödipuskonflikt feststellen, beiden Definitionen haftet übrigens etwas Anachronistisches an, wenigstens in bezug auf Fontane.
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