Heft 
(1975) 21
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denen ich in meinem bunten, vielgestaltigen Leben in Berührung gekom­men bin, hat er den entschiedensten und, ich muß hinzusetzen, segen­vollsten Einfluß auf mich ausgeübt. Er hat etwas von einem Weisen, einem Goethe, meinetwegen auch von der Kühle, die dazu gehört. Nicht seine Worte lehren, aber sein Leben ist Lehre und Vorbild. 8 Das Interesse an den historischen Denkmalen war bei den gebildeten Schichten, nachdem man seit der Romantik neben den antiken Werken den Wert der heimischen mittelalterlichen Bau- und Bildkunstwerke zu schätzen wußte, in Preußen wie in anderen Ländern allgemein sehr groß. Geschichts- und Altertumsvereine befaßten sich mit der Erforschung der mittelalterlichen Denkmale und suchten die Öffentlichkeit über deren Wert aufzuklären. Auch die Entwicklung der Reiseliteratur trug wesent­lich dazu bei. Die ersten kunstgeschichtlichen Gesamtdarstellungen wur­den von Seroux dAgincourt, Franz Kugler und Karl Schnaase erarbeitet. Spezielle Zeitschriften wurden herausgegeben, vor allem aber fand das Bemühen um die dinglichen historischen Zeugnisse in der Gründung zahlreicher öffentlicher Museen und in der Organisation eines staatlichen Denkmalschutzes seinen Niederschlag.

Die hohe Wertschätzung der historischen Denkmale in jener Zeit war ein Ausdruck des bürgerlichen Geschichtsbewußtseins, das sich mit der Entstehung der Nationalstaaten in Europa entwickelte.

Die Bewertung, Pflege und Wiederherstellung der historischen Denkmale sind nicht nur vom Stande der Geschichts- und Kunstgeschichtsforschung, den naturwissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen und dem vom Auftraggeber erstrebten Nutzen abhängig, sondern auch von den Idealen des jeweils zeitgenössischen Kunstschaffens.

Die bildende Kunst und Architektur des 19. Jahrhunderts erhielt durch den Historismus ihre besondere Prägung. Das Studium und die Nach­bildung historischer Stile war vor allem in der Architektur stil­bestimmend.

Daraus ergaben sich besonders enge Zusammenhänge zwischen dem zeit­genössischen architektonischen Schaffen'und der Erforschung und Wieder­herstellung der historischen Bauwerke. Bot einerseits das Studium vergangener Kunststile die Voraussetzung für moderne Nachbildungen, so beeinflußte andererseits die Art und Weise der Rezeption historischer Stilepochen im zeitgenössischen Kunstschaffen die Behandlung der histo­rischen Denkmale.

Die Schöpfer der Kirchen und Schulen im Stile der Neugotik, der Rat­häuser, Villen und Bibliotheken im Stile der Neurenaissance oder des Neubarock glaubten an die Wiederholbarkeit künstlerischer Ausdrucks­formen der Vergangenheit. Mit dem Bemühen um die Nachbildung historischer Stile verbanden sich jedoch eigene Schönheitsideale, eine Vorliebe für Symmetrie, Ordnung, Genauigkeit, vor allem aber das Streben nach Stilreinheit und Stileinheit, das insbesondere die Baukunst im Zeitraum von etwa 1850 bis 1880 kennzeichnet. Nachdem man die Stilmerkmale der vorangegangenen Jahrhunderte voneinander zu unter-

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