pedantische Liebhaberei, die alten Bauwerke überall auf ihren primitiven Zustand zurückführen zu wollen: im besten Falle erhält man dabei ein Exempel für einen kleinen Punkt der kunsthistorischen Wissenschaft; aber allen späteren Epochen, die das Denkmal auch zu dem ihrigen gemacht hatten, ist bitter Unrecht geschehen, und dem Beschauer ist das Band, das ihn mit dem Werke verbinden soll, zerrissen und seine persönliche Teilnahme abgekältet. Wer nicht an diesem oder jenem Abschnitt der kunstgeschichtlichen Studien hängen geblieben ist, wer auf der Höhe der geschichtlichen Anschauung steht und, weil er ein Herz für die ganze Vergangenheit hat, auch die Gegenwart fühlt und die Zukunft ahnt, dem gleichen sich die einzelnen Umwandlungen, die die Jahrhunderte mit den einzelnen Denkmälern vorgenommen haben, zu einer höheren Harmonie aus und sein zur einfachen Natürlichkeit zurückkehrendes Gefühl wird nicht verletzt, mag auch einer gotischen Fassade ein Portal im Renaissancestil vorgebaut oder ein romanisches Innere mit einer Rokokodekoration überzogen sein.“ 12 Kuglers Urteil lagen umfassende kunsthistorische Studien zugrunde, die vor allem darauf gerichtet waren, größere Entwicklungszusammenhänge zu erforschen und darzustellen. Das daraus hervorgegangene Verständnis für das Denkmal als gewordener historischer Bestand, ist charakteristisch für Kuglers Denkmalauffassung und trennt sie von den zeitüblichen Vorstellungen. Das dieser Sicht entgegenwirkende zeitgenössische Schönheitsideal von der Stileinheit und Stilreinheit der Kunst war für ihn kein ausschlaggebendes Kriterium der Bewertung historischer Denkmale. Selbst die auch bei ihm noch vorhandenen aus der klassizistischen Schule herrührenden ästhetisch-künstlerischen Vorbehalte gegen die Barockkunst wurden dem Gedanken an die historisch-kunsthistorische Zeugniskraft untergeordnet. Eine Dominanz der historischen Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Denkmale findet sich in zahlreichen Kuglerschen Denkmalbeschreibungen; besonders deutlich tritt sie in seinem 1854 in die „Kleinen Schriften und Studien zur Kunstgeschichte“ auf genommenen Nachtrag zur Beschreibung des Augsburger Domes in Erscheinung: „Der Augsburger Dom ist ein Konglomerat aus verschiedenartigen Bauepochen. Einheit des künstlerischen Planes, selbst ein bestimmt künstlerisches Wechsel Verhältnis zwischen seinen verschiedenen Teilen fehlen; einen künstlerischen Gesamteindruck gewährt er so wenig im Äußeren wie im Inneren. Um so entschiedener ist, wenn ich es so nennen darf, seine gemütliche Wirkung, in dem Charakter des historisch Gewordenen und Gewachsenen; dem Beschauer treten die Generationen, die im Laufe der Jahrhunderte diesen Bau zusammengeschmiedet, lebendig und faßbar entgegen.“ 13
Der historische Wert der Denkmale war auch für Fontane von vorrangiger Bedeutung. Auch er wendete sich dagegen, wenn der historische Bestand mit seinen Erinnerungswerten dem Streben nach Stileinheit und Stilreinheit geopfert wurde. Der Sinn für das historisch Gewachsene spricht bereits aus seiner in „Jenseit des Tweed“ (1860) enthaltenen Kritik an der Herausnahme des alten Portales von Tolbooth
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