man sich mit größter Bestimmtheit die neue Gefahr vergegenwärtige, welche so leicht durch mißverstandenen Eifer herbeigeführt werden kann. Wir haben es zur Genüge erlebt, wie jenes, an sich so edle und ruhmwürdige Streben geradezu in eine verwerfliche Neuerungssucht umartete, die, indem sie aufs Neue die geschichtliche Bedeutung der Monumente verkannte, neue Werke aus den alten herzustellen bemüht war, die von dem Prinzip eines eingebildeten Schönheitsgefühles ausgehend, umzugestalten begann, wo noch Wertvolles vorhanden war, — Ordnung lind Symmetrie nach nüchternen Schulregeln einführte, wo dieselben in höherem Sinne nur Mißordnung zu nennen sind, — abglättete und ausputzte, wo die Farbe der Geschichte (die natürlich etwas Andres ist als Schmutz und Verderbnis) gerade den mächtigsten Eindruck auf das Gemüt des Beschauers hervorbrachte .“ 35
Historische und ästhetisch-künstlerische Gesichtspunkte sind in dieser Argumentation miteinander verschmolzen. Das ist auch in seiner Kritik an der Restaurierung des Magdeburger Domes der Fall, wobei hier als spezieller künstlerischer Aspekt das Malerische hervorgehoben wird: „Wir haben z. B. wenig Recht, wenn wir einzelne, in einem solchen Dom «vorhandene Monumente von der Stelle, die ihnen viele Jahrhunderte hindurch zuerkannt ist, hinwegrücken, um etwa die Hauptlinien der Architektur ungestörter verfolgen zu können; mir scheint vielmehr, als ob eben diese, im Verhältnis zum Ganzen so geringen Unterbrechungen das Malerische des Eindruckes begünstigen und dem Auge, welches sich in den gewaltigen Räumen und Maßen so leicht verliert, angenehme Ruhepunkte darbieten .“ 36
Sehr ähnlich klingende Einwände erhebt Fontane gegen die Restaurierung der Kirche St. Quen in Rouen: „St. Quen ist eine große Kirche, die sowohl an Alter wie an Ansehn mit der Kathedrale wetteifert [...] An Schönheit, jedenfalls aber Einheitlichkeit [...] ist St. Quen der Kathedrale überlegen. Ihre Mängel, für mein Gefühl wenigstens, liegen andererseits in dem, was moderne Architekten als die ,Abwesenheit von allem Störenden“ bezeichnen, eine Baumeisterphrase, gegen die ich einen wahren Haß habe. Es heißt nämlich nicht mehr und nicht weniger als: ,Wir haben bei der letzten Renovierung alles hinausgeworfen; man kann jetzt alle Säulen und Pfeiler deutlich sehn; alles ist kahl, alles ist langweilig “.“ 37
Auch bei Fontane verbinden sich die künstlerisch-ästhetischen mit historischen Argumenten, das wird durch den folgenden Text unterstrichen, in dem er dem „Egoismus der Architekten“ mit ihrem „Die Toten sind tot, und der Lebende hat Recht“ einen „gewissen historischen Sinn“ gegenüberstellt.
Noch klarer tritt diese Verschmelzung in der bereits erwähnten Beschreibung der Kathedrale von Reims hervor. Durch das Fehlen interessanter historischer Ausstattungsstücke erschien sie ihm kahl, das entsprach weder seinen geschichtlichen noch seinen künstlerischen Ambitionen und deshalb empfand er den Innenraum auch als zu massig und zu schwer. Diese Wechselbeziehung zwischen historischer und
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