künstlerische Gesichtspunkte, die Freude an der Farbenfülle, durchaus den Vorrang. Im Gegensatz zum Dom in Roeskilde stand er hier einer gänzlich neuen polychromen Ausmalung in historisierendem Stil gegenüber, und sie fand seine Anerkennung, insbesondere der Speyrer Dom, den er als „Muster- und Meisterstück von einer restaurierten romanischen Kirche“ bezeichnete.
„Das Innre der Kirche,“ schreibt er, „wirkt außerordentlich. Zu der großartig einfachen Würde der romanischen Formen, kommt eine sich einschmeichelnde goldene Pracht. Die Chornische ist ganz golden, auf der einzelne Gestalten stehn. Als ich in die Kirche eintrat, fiel das Licht der Mergensonne durch die Fenster des Chors, und die goldnen Wände leuchteten in doppelter Pracht auf.“ Schraudolphs Fresken bezeichnet er als „edel in der Composition, frisch, wohlthuend in der Farbe“/' 1 Auch in Fontanes französischen Reiseberichten finden sich Passagen über die Ausmalung von Kirchenräumen. Zum Winterchor der Abteikirche von St. Denis schreibt er, sie gehöre zu jenen unter Violet-le Duc restaurierten Kirchen „die wieder die alte Farbenfülle an die Stelle des grauen Steins oder der noch schlimmeren weißen Tünche haben treten lassen.“'’* 2 Entsprechende Äußerungen enthalten die „Wanderungen“, bei der Beschreibung der Friedersdorfer Kirche z. B. hebt er hervor, daß das „Vorherrschen der Farbe“ ein wesentliches Element der schönen Wirkung des Kirchenraumes sei. 43 Bei der Liebenberger Kirche in „Fünf Schlösser“ begrüßt er die Belebung durch Farbigkeit bei der letzten Restaurierung. 44 Fontanes unbedenklichere Haltung hinsichtlich der Verbindung von alter und neuer Kunst bei den historischen Denkmalen erklärt sich vor allem dadurch, daß er spontaner urteilte als Kugler, er trat den Denkmalen mit der Unbefangenheit des Laien gegenüber, und die besonderen Umstände und der Eindruck, den die jeweilige Lösung auf ihn machte, gaben den Ausschlag, ob er mehr der historischen Patina oder einer neuen künstlerischen Lösung den Vorrang gab. Wie undogmatisch seine Fürsprache für polychrom neu gefaßte Kirchenräume, im Gegensatz zu vielen zeitgleichen Äußerungen war, belegen u. a. seine Ausführungen zur Kirche von Bonsecours, deren neue Ausmalung ihm als Verirrung erscheint, so daß er zu dem Schluß kommt, wenn das 13. Jahrhundert tatsächlich solche Farbgebung verwandt hätte, so könne er die folgenden Jahrhunderte verstehen, die weiße Tünche darübergezogen hätten: „Ich hasse die puritanisch-langweilige Kahlheit der Wände so aufrichtig wie nur möglich; wenn dann aber mal zwischen zwei Extremen durchaus entschieden werden soll, so bin ich ohne Besinnen für weiße Tünche contra Ruppiner Bilderbogen.“ 45
Außerdem muß bei dieser speziellen Problematik mit berücksichtigt werden, daß Fontanes Bemerkungen dazu rund zehn bis fünfzehn Jahre später niedergeschrieben wurden als Kuglers, d. h. in den sechziger und siebziger Jahren waren die polychrome Neufassung der Baudenkmale nach Vorgefundenen Resten alter Ausmalung oder in stilistischer Anlehnung an mittelalterliche Ausmalungen ein bereits allgemein verbreitetes und bekanntes Vorgehen, so daß sich auch andere Sehgewohnheiten
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